Wer wir sind
Bukarest. Die beiden Brüder könnten möglicherweise ein paar Worte zur Ernennung ihres Onkels wechseln, per Telefon.
»Hannes? Hast du gehört? Onkel Walther lässt sich von Tante Elisabeth scheiden und heiratet diese Charlotte Rüffer, ob du es glaubst oder nicht.«
»Aber Tante Elisabeth hat sich doch immer gegen die Scheidung gesträubt.«
»Na, aber jetzt wird Onkelchen ja Generaloberst und neuer Oberbefehlshaber des Heeres. Und dafür hat ihm Hitler die achtzigtausend versprochen, die die Tante verlangt hat, um in eine Scheidung einzuwilligen.«
All diese Generäle, Feldmarschälle und preußischen Feldherrn denken offenbar nur an das eine. An das Vaterland nämlich. Österreich ist deutsch, und deutsch soll auch das Sudetenland werden. Oster schreibt Denkschrift um Denkschrift an Walther von Brauchitsch: Ein Krieg mit der Tschechoslowakei werde England und Frankreich auf den Plan rufen, und dann sei Deutschland verloren. Brauchitsch soll die Denkschriften an Hitler weiterleiten. Aber tut er es?
Das fragen sich Oster und Beck. Liest Brauchitsch die Dinger wenigstens selbst? Beck hat Walther Brauchitsch den geschlossenen Rücktritt der Generalität vorgeschlagen, wenn Hitler weiterhin zum Krieg drängt. Dafür war aber keiner der Herren zu haben, am wenigsten der frischgebackene Oberbefehlshaber selbst. Womöglich müsste er dann die achtzigtausend wieder ausspucken, die er für die Scheidung gebraucht hat?
Zurückgetreten ist nun schließlich Beck selbst. Sein Nachfolger ist Franz Halder. Halder ist auch der Meinung, man sollte den Krieg besser verhindern. Aber er möchte mit der Absetzung Hitlers lieber noch etwas warten. Er sieht sich außerdem in der Pflicht, den Krieg so gewissenhaft wie möglich vorzubereiten für den Fall, dass man ihn nicht verhindern kann. Er will den Krieg verhindern, weil Deutschland ihn verliert. Er muss einen Krieg vorbereiten, den er verhindern will, weil er schon verloren ist, aber falls er ihn nicht verhindern kann, muss er dafür sorgen, dass der Krieg, der nicht gewonnen werden kann, so wenig verlustreich wie möglich verloren wird, so dass Deutschland in dem Krieg, den Halder verhindern will, weil er nicht gewonnen werden kann, irgendwie doch siegt. Wiedemann, Hitlers Adjutant, hat am 18. Juli 1938 den englischen Außenminister Halifax in seiner Privatvilla am Eaton Square 88 besucht. Er hat Dohnanyi davon berichtet.
»Hitler hatte mich beauftragt, Halifax zu drohen, wir würden das Sudentenland notfalls mit Gewalt einnehmen. Ich habe Halifax aber erklärt, wir wollten die Sudetendeutschen unbedingt auf friedlichem Weg heim ins Reich holen.«
»Und was hat er gesagt?«
»Dohnanyi, die rücken uns auf die Pelle, wenn wir ins Sudetenland einmarschieren.«
»Was hat Hitler dazu gesagt?«
»Nichts. Er wollte meinen Bericht nicht mehr hören.«
Aber Hans von Dohnanyi wird es nicht zu einem Krieg kommen lassen. Er wird mithelfen, Europa zu retten. Er befindet sich ja nun mitten unter Leuten, die allen Ernstes planen, Hitler zu stürzen: Reichskriegsgerichtsrat Dr. Carl Sack hat ihn während des Fritsch-Prozesses mit Hans Oster bekannt gemacht. Inzwischen ist auch Generaloberst Beck zu einemStaatsstreich bereit. Und sie suchen weitere Entschlossene um sich zu scharen.
»Wie merkwürdig hat es sich gefügt«, hat Hans von Dohnanyi zu seiner Christel gesagt. »Und wie wunderbar wäre es, wenn es gelingt. Christel, ich kann mich dem nicht versagen. Was für eine Chance. Wie entscheidend würde der Umsturz unser aller Leben verwandeln.«
Und es könnte klappen. Die Deutschen wollen keinen Krieg. Wenn es wegen der Sudetenfrage zum Krieg käme, könnte man gegen Hitler vorgehen, ohne damit einen Bürgerkrieg zu riskieren. Man wüsste dann die Bevölkerung hinter sich. Man könnte Hitler verhaften, ihn als Reichskanzler absetzen und ihn vor Gericht stellen. Und zu diesem Zeitpunkt käme Hans ins Spiel. Hans würde dem Gericht sein in Jahren gesammeltes Material zur Verfügung stellen, das beweist, dass nicht Hans von Dohnanyi ein Verräter des Vaterlandes ist, sondern Adolf Hitler.
»Denn das ist doch das Problem. Ach Christel, ich bin doch eigentlich gar kein Revolutionär. Ich bin Jurist. Ich bin Beamter. Ein Staatsdiener. Ich habe mich verpflichtet, der Regierung Deutschlands zu dienen, ob sie mir nun passt oder nicht. Und das hat doch eigentlich seine Ordnung. Es kann kaum richtig sein, dass jeder Einzelne zu jedem Zeitpunkt willkürlich entscheiden darf, wem gegenüber
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