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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg nach Plötzensee gebracht. Man hat ihm die Uniform abgenommen, das Hemd, die Schuhe. Er trägt nun Sträflingshosen, Holzpantinen. Er nimmt an, es geht gegen vier Uhr nachmittags. Den Brief an Charlotte hat er geschrieben, unbequemerweise mit gefesselten Händen und miserabler Feder. Er wirft noch einmal einen Blick darauf.
    Mein über alles geliebter Liebling!
    Es gibt nun nichts mehr zu tun. Es wird sicher auch gleich alles vorbei sein. Er hofft in Ehren zu bestehen. Er vertraut darauf, dass es sein wird wie immer. Es wird sein wie im Krieg, vor einem Angriff: Er wird die Unruhe, die wachsende Anspannung, die Angst zu nennen er sich nicht gestattet, in sich sammeln, in sich wachsen lassen, natürlich ist es Angst. Aber mehr Prüfungs- als Todesangst. Im entscheidenden Moment wird sie zu konzentrierter Gelassenheit werden: Darauf vertraut er. Draußen auf dem Gang Schritte. Das werden sie sein. Gleich wird sich die Tür öffnen. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg steht auf. Er wendet sich der Tür zu. Er kreuzt die Arme über der Brust.
    Milly Ruth tippt. Dies muss vor Feierabend noch erledigt werden. Die Akten sind gerade erst von Plötzensee herübergekommen. Der Chef hat den üblichen Brief diktiert,
    An
    den Sekretär des Führers
    Herrn Reichsleiter Martin Bormann
    Führerhauptquartier
    Ich melde, dass die vom Volksgerichtshof am 10. August 1944 wegen Landesverrats zum Tode Verurteilten
    Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg
    Berthold Schenk Graf von Stauffenberg
    Alfred Kranzfelder
    heute um 16.00 Uhr im Strafgefängnis Plötzensee in Sträflingskleidung
    »Fräulein Ruth?«
    Sie sieht auf.
    »Hier sind Unterlagen zur sofortigen Vernichtung. Wenn Sie sich bitte noch darum kümmern wollen, bevor Sie heimgehen.«
    »Jawohl.«
    Es sind zwei Briefe. Milly entfaltet den obersten. Sie liest die Anrede.
    Mein über alles geliebter Liebling!
    Sie lässt den Brief sinken. Einen Moment lang sitzt sie still. Dann faltet sie die beiden Briefe ganz klein zusammen und schiebt sie in ihr Brillenetui.
    Milly tippt. Die Sekretärin im Reichsjustizministerium Milly Ruth: Sie hat die Briefe der Attentäter aus dem Ministerium herausgeschmuggelt. Sie hat aber nicht gelogen. Auf die Frage, ob sie die Briefe vernichtet habe, hat sie geantwortet, sie werde es gleich tun. Natürlich wird sie die Briefe auch vernichten. Aber vorher wird sie sie abschreiben. Sie wird die Namen ändern: Statt Schulenburg wird sie Schulze schreiben, statt Stauffenberg Stanitzke. Sie hat mit Schulenburgs Brief begonnen.
    Meine Gedanken waren am schwarzen 20. 7. bei Dir und suchten Dich. Auch in den folgenden Wochen, wo ich beim Geheimen Staatspolizeiamt einsaß, habe ich täglich mit Dir über die Ferne weg gesprochen und jedes meiner Kinder gestreichelt.
    Milly weint. Sie tippt.
    Mein berufliches Leben ist nur ein Fragment geblieben,wenn auch voller Sehnsucht und Abenteuer. Ein vollendetes Glück habe ich bei Dir gefunden, mein liebes Du. Küsse jedes meiner Kinder, an denen ich nur Freude gehabt habe, meine heiteren Genien. Und Du, mein lieber Liebesgenius, behalte mich so lieb wie ich Dich, ganz fest und vertraut wie von Urbeginn an. Was wir getan, war unzulänglich, aber am Ende wird die Geschichte richten und uns freisprechen.
    Charlotte Schulenburg erwacht. Sie ist wieder in Trebbow. Es ist noch immer der 10. August. Sie ist gleich nach der Heimkehr zusammengesunken, in Schlaf gefallen wie in eine Betäubung. Sie wäscht sich das Gesicht, sie geht hinunter. Das Abendessen ist längst vorüber. Die Kinder sind zu Bett gebracht worden. Charlotte ist verloren. Sie denkt, dass sie ohne ihn ganz und gar verloren ist. Aber sie ist doch nicht ohne ihn. Er lebt sicher noch. Er ist vielleicht nicht einmal verurteilt. Fritzi lebt, und Charlotte wird jetzt an ihn schreiben. Sie geht wieder nach oben. Sie sucht einen Füllfederhalter, einen Bogen Schreibpapier.
    Mein geliebter Mann
    Im Garten von Schloss Lautlingen ist es beinahe wie immer. Es ist heiß und schön. Berthold spielt den ganzen Tag draußen im Park, zusammen mit den anderen Kindern. Am liebsten bliebe er immer hier draußen. Am liebsten ginge er gar nicht ins Schloss. Aber mittags zu den Mahlzeiten und am Abend müssen sie natürlich alle hinein. Dann sitzen sie an der Tafel von Schloss Lautlingen, die sechs Söhne und Töchter von Claus und Berthold Stauffenberg, zusammen mit ihrer lieben Kinderfrau Esther und den beiden Polizisten, die neuerdings im

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