Wer wir sind
versuchen.«
»Sie glauben nicht daran.«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Aber ich werde gehen.«
»Das werden Sie wohl tun. Aber es ist gefährlich. Sie werden das Augenmerk dieser Leute auf sich lenken.«
»Darüber denke ich gar nicht nach.«Dieser Mann hält nun also Helmuths Leben in der Hand. Freya sitzt im Büro von SS-General Heinrich Müller in der Prinz-Albrecht-Straße. Sie hat ihr Anliegen vorgebracht. Es war nicht einfach zu formulieren. Am deutschen Sieg zu zweifeln ist Hochverrat. Freya hat also nicht von der bevorstehenden Niederlage gesprochen, sondern vom Kriegsende. Wenn der Krieg vorüber ist, könnten sich Helmuths Kontakte als hilfreich erweisen, nicht nur für das Reich, sondern auch für jeden Einzelnen seiner Vertreter.
Müller hat sie genau verstanden. Er ist bis jetzt sehr höflich gewesen. Sie ringen nun schon seit einigen Minuten miteinander.
»Aber die Vorkriegsverbindungen meines Mannes nach England sind doch eben genau deswegen vorzüglich, weil sie durchaus auf privaten Bindungen beruhen.«
»Ja. Das ist es ja. Ihr Mann scheint sich nie vollständig zu Deutschland bekannt zu haben, zu unserem nationalsozialistischen Deutschland.«
»Natürlich ist mein Mann Deutscher. Daran gibt es doch keinen Zweifel. Aber wenn man ihn im Ausland, wie Sie sagen, nicht als nationalsozialistischen Deutschen einschätzt, dann könnte doch gerade das hilfreich sein.«
Müller schüttelt leicht den Kopf. Er sagt: »Frau Gräfin. Wenn Sie wüssten, was Ihr Mann getan hat, dann würden Sie sich wundern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt darf ich mich leider nicht deutlicher ausdrücken. Aber wenn dies hier vorbei ist, dann müssen Sie mich einmal besuchen. Dann werde ich Ihnen alles erklären.«
Freya steht auf.
Sie springt auf: Die Empörung reißt sie empor. Wenn dies vorbei ist? Wenn sie Helmuth ermordet haben: Das meint dieser fürchterliche Mensch. Wenn Helmuth nicht mehr lebt,dann möchte dieser Mensch ihn bei seiner Witwe anschwärzen. Freya sieht Müller in die Augen. Sie sagt: »Ich empfinde für meinen Mann nichts als Liebe und allergrößte Hochachtung. Und in diesem Geist werde ich auch seine Söhne erziehen.«
Müller starrt sie an.
»Natürlich«, sagt er. »Selbstverständlich.«
Freya zieht ihre Handschuhe an. Sie sagt: »Mein Mann möchte gern Gelegenheit erhalten, die Tatsachen einmal aus seiner Sicht darzulegen.«
»Diese Möglichkeit wird ihm in der Verhandlung geboten.«
»Er würde aber gern vorher mit Ihnen persönlich reden.«
»Dann werde ich ihn natürlich empfangen.«
Gestapo-Müller hält Freya die Tür auf.
»Ich empfehle Ihnen im Übrigen, Gnadengesuche an den Führer und an den Reichsführer-SS zu schreiben«, sagt er. »Und kommen Sie ruhig zu uns, wenn alles vorbei ist. Dann werden Sie sehen, dass wir nicht unrecht an Ihrem Mann gehandelt haben.«
»Ja«, sagt Harald Poelchau, dem Freya von der Begegnung berichtet. »Sie glauben sich das. Sie glauben das wirklich.«
Freya muss nun also eine Bittschrift an Heinrich Himmler verfassen. Himmler hat im Frühling dieses Jahres dafür gesorgt, dass Helmuth nicht in die Affäre um den Solf-Kreis mit hineingezogen worden ist. Er wird sich möglicherweise noch einmal für Helmuth einsetzen: Das glaubt Helmuth.
Freya glaubt es nicht. Aber sie wird schreiben. Sie eilt zu Landgerichtsdirektor Kurt Schulze, zu Amtsrat Thiele, zum Vertreter des Oberreichsanwalts Ernst Lautz. Sie hat einen Termin bei Dix, mit dem sie die Verteidigungsschriftendurchsieht. Danach geht es weiter zu Gustav Adolf Baron von Steengracht, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Steengracht soll sich dafür einsetzen, dass man Helmuth im Fall eines Todesurteils aufspart, also das Urteil nicht gleich vollstreckt. Seine Frau Illemie ist eng mit Freyas Bruder Carl Deichmann befreundet. Sein Sohn hat häufig auf Kreisau Schutz vor den Bombenangriffen gesucht. Freya soll Steengracht an Helmuths Englandbeziehungen erinnern, an seine persönlichen Bindungen zu ehemaligen Mitgliedern von Milner’s Kindergarten, die alle in hohen Ämtern stehen. Und dann muss Freya Anneliese Schellhase anrufen, die sich zusammen mit Theodor Haubachs ehemaligem Chef Vikki Bausch um Theo Haubach kümmert.
Haubach sitzt in der Lehrter Straße. Er ist am 9. August verhaftet worden. Mit dem Attentat hat er so wenig zu tun wie Helmuth. Am 20. Juli war er im Allgäu, wo er mit der knabenhaft schönen, warmherzigen Sängerin Anneliese Schellhase Urlaub gemacht hat. Als Fräulein
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