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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Willen. Am 7. Februar 1945 wird Dietrich zusammen mit elf weiteren Gefangenen nach Buchenwald verschleppt. Zu Dietrichs Erstaunen bringt man sie aber nicht zur Erschießung ins KZ, sondern sperrt sie in den Keller einer vorgelagerten SS-Kaserne. Nun also hat Dietrich ein weiteres Mal Gelegenheit gehabt, für den Moment zu proben, der ihm wahrscheinlich doch noch bevorsteht. Er denkt voll Mitleid an Maria und die Eltern. Er nimmt nicht an, dass man sie von seiner Verlegung informiert hat.Die Bonhoeffer-Frauen sind alle tapfer. Sie haben Gnadengesuche für Klaus und Rüdiger gestellt. Sie kämpfen um Wiederaufnahmeverfahren. Emmi kennt Ministerialrat Pippert. Der Ministerialrat hat die Akte Klaus Bonhoeffer mit dem Todesurteil auf dem Weg vom VGH zum Justizministerium abfangen lassen. Am nächsten Tag ist Freisler erschlagen worden. Pippert hat Emmi fest zugesichert, dass die Akte nun nicht mehr auftauchen wird.
    Maria von Wedemeyer hat ihren kleinen Treck heil nach Celle gebracht, dann ist sie nach Berlin zurückgekehrt. Am 12. Februar steht sie in den Ruinen der Prinz-Albrecht-Straße. Wo ist Dietrich? Das weiß keiner. Vielleicht ist er in Buchenwald, vielleicht in Flossenbürg. Dort hat man Oster und Canaris hingeschafft. Maria packt einen Koffer für Dietrich und kämpft sich durch die Menschenströme des in Auflösung begriffenen Reiches nach Buchenwald durch. Der SS-Mann betrachtet verwundert die Schildmaid, die in sein Büro gestürmt kommt. Zusammen gehen sie die Einlieferungen der letzten Wochen durch, die Todesfälle. Dietrichs Name ist nicht darunter. Maria schleppt den Koffer wieder den weiten Weg zum Bahnhof zurück, von dem heute aber kein Zug mehr abfährt. Sie übernachtet in der Holzhütte des Bahnhofsvorstehers. Am nächsten Morgen fährt sie nach Bundorf zu ihrer Cousine von Truchseß, von da weiter nach Flossenbürg. Aber dort ist Dietrich auch nicht.
    Maria sitzt wieder im Zug. Sie fährt zurück nach Berlin. Das heißt, es ist nun alles verloren. Nicht nur Dietrich, das Leben ist verloren. Maria fährt zurück, zurück, zurück, und die Maschen stürzen von der Nadel, das ganze Werk, mit so viel Mühe und Liebe verfertigt, trennt sich auf, ist nichts mehr als ein Knäuel schmutziger Fäden, von denen kein einziger in die Zukunft reicht. Was hält Maria nun noch auf der Erde?
    Nur der Ballast. Ihr Koffer. Ihr Körper. Eine Bomberstaffel nähert sich von Westen. Der Zug hält. Maria bleibt sitzen. Die Tiefflieger beschießen den Zug, und Maria bleibt sitzen.
    »So kommen Sie doch!«
    Ein junger SS-Offizier packt Maria am Arm. Sie versucht sich loszureißen. Er ist aber stärker. Immer, immer, immer sind sie stärker. Der SS-Mann schleppt die Widerstrebende aus dem Zug, der hinter ihnen in die Luft fliegt. Der Koffer ist zerstört. Maria trägt nun nichts mehr. Es ist dieses Gewicht, das Gewicht des Nichts, das erdrückend auf sie niedersinkt.
    In Sachsenhausen hat Christel erfahren, dass Hans von Dohnanyi in die Prinz-Albrecht-Straße gebracht worden ist. Die Prinz-Albrecht-Straße ist eine Ruine. Kaum zu glauben, dass das Gebäude noch benutzbar ist. Aber das gilt ja für ganz Berlin. Christel darf Hans nicht sehen. Aber die Wachmänner sind sehr nett.
    Sie steigen hinunter in den Keller zu Hans, sie richten Hans Christels Grüße und Fragen aus, sie tragen Christel seine Antworten zu, sie überbringen Christels Pakete. In einer leeren Brotdose findet sie einen Kassiber. Es geht ihm gut. Höchstens noch acht Wochen, dann wird der Krieg wohl aus sein.
    Stawitzki glaubte mich kleinzukriegen, aber ich habe mich aufs Stinken verlassen. Wenn ihr flieht, lasst mir Nachricht am Stein an der Brücke. Und nehmt meine KZ -Briefe mit den Nummern darauf als Ausweis mit.
    Jetzt ist es fast geschafft. Jetzt müssen sie nur noch durchhalten bis zum Ende.
    Klaus Bonhoeffer will nicht mehr leben. Er hat recht behalten: Er hätte sich gleich umbringen sollen. Klaus Bonhoeffer weißdas nun. Er hat recht behalten in diesem einen Punkt. In allen anderen Punkten hat er sich geirrt. Er hat die Welt für einen Ort gehalten, wo Böses und Gutes miteinander im Kampf liegen. Er hat nicht gewusst, dass die Welt gänzlich dem Teufel gehört. Vom ersten Moment der Folter an hat er das aber begriffen. Beim ersten Schlag ins Gesicht, beim ersten Stoß der Nadel unter die Fingernägel ist ihm klar geworden, dass die Welt die Hölle ist. Es ist freilich eine mit Flitter verhängte, nachlässig mit Pappkulissen kaschierte Hölle,

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