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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Freya wird ihm eine Stimme verleihen. Sie wird seine Stimme hörbar machen,
    Mein Lieber, denk mal, wie schön, dass ich noch ein Mal hier nach Tegel zurückgebracht worden bin, dass die Würfel, deren Fall schon genau feststeht, sozusagen auf der Kante noch einmal halten. So kann ich noch in Frieden einen Bericht schreiben.
    Die Briefe aus Tegel sind Helmuths Vermächtnis. Er hat ihre Veröffentlichung gewünscht. Freya schreibt die Briefe ab und schickt sie an Lionel Curtis, der sie Ende des Jahres inder Zeitschrift ›Round Table‹ veröffentlichen wird. Es sind die ersten Briefe Helmuths, die öffentlich erscheinen. Viele weitere werden folgen. Alle. Aber so weit ist es noch nicht, noch lange nicht. Freya kontaktiert Allen Dulles vom OSS und dessen Mitarbeiter Gero von Schultze-Gaevernitz und berichtet ihnen von Helmuths Tod. Man stellt ihr eine Art Ausweis aus, eine Bescheinigung in allen Sprachen der Besatzer, dass ihr Mann Opfer des Nationalsozialismus gewesen ist. Dann macht sich Freya auf den Weg in die Afrikanische Straße.
    Die Wohnung steht noch: der Unterschlupf, die Rettungsinsel in den wilden und wehen Monaten. Die Poelchaus sind aber in Franken. Freya weiß das. Sie weiß nicht genau, warum sie dennoch klingelt. Die Tür öffnet sich, und vor ihr steht Gertie Siemsen. Sie hat einen Säugling auf dem Arm: ihre und Harald Poelchaus Tochter, geboren am 1. März im Bunker der Spandauer Klinik während eines Angriffs.
    »Freya!« Sie umarmen einander. »Rate, wer hier ist, Freya. Wend Wendland.«
    Astas Mann. So wird Freya geführt. Sie kann sich ganz darauf verlassen. Als sie Anfang September nach Schlesien zurückkehrt, ist Kreisau offiziell polnisches Staatsgut geworden.
    Bleibe so lange wie möglich zu Hause!
    Freya hat sich an Helmuths Rat gehalten. Es ist ein guter Rat gewesen. Die Kinder sind gesund, fröhlich, wohlernährt. Aber nun geht es zu Ende. Romai ist mit ihren Kindern schon in den Westen gezogen. Zeumer ist fort, mit Familie, Wagen und Pferdchen. Die Deutschen müssen neuerdings weiße Armbinden tragen. Sie werden von ihren Höfen, aus ihren Dörfern vertrieben. Marion und Muto kommen und gehen. Wenn sie nicht da sind, ist Freya mit ihren beiden Söhnchenund Frau Pick allein. Und sie haben kein Geld. Deutsches Geld ist wertlos geworden. Freya verkauft nach und nach alles, was sie hat, in Schweidnitz gegen polnische Złoty.
    Sie geht zu Fuß nach Schweidnitz: Sie besitzt kein Fahrrad und kein Pferd mehr. Sie wandert den Kapellenberg hinauf, vorbei an der Grabkapelle des alten Feldmarschalls und seiner jung verstorbenen Gemahlin, über den Familienfriedhof der Moltkes. Unter ihr liegt das Tal: das Dorf, in dem keine Deutschen mehr wohnen, Schloss und Hofgut, wo die Russen und Polen sind, und jenseits, auf der anderen Seite des Tales, das Berghaus, hinter dem sich klar und zartblau der Zobten erhebt. Freya wandert durch die Felder, sieben Kilometer hin, sieben wieder zurück.
    Sie wandert auf den vertrauten Kirchturm von Schweidnitz zu. Aber Schweidnitz ist ihr ganz fremd geworden. Die Häuser, die Kirche: Es ist alles noch da. Aber alles ist polnisch: die Straßenschilder, die Läden, die Umgangsformen. Die Stadt ist bevölkert von Umsiedlern aus den zerstörten Städten Zentralpolens, von polnischen Zwangsarbeitern, die nicht mehr in ihre Heimat im sowjetisch gewordenen polnischen Osten zurückkehren können, von Vertriebenen aus Lemberg oder Wilna, die versuchen, sich hier in der Fremde zurechtzufinden, sich neu einzurichten, noch einmal Fuß zu fassen nach den furchtbaren Schrecken der letzten Jahre, während sie sich heimsehnen nach ihren Dörfern und Städten im Osten, die es längst nicht mehr gibt, ganz wie es Freyas Schweidnitz nicht mehr gibt. Freya wird, wenn sie geht, nicht die Welt verlassen, in der sie gelebt hat. Diese Welt ist unwiderruflich untergegangen.
    Aber bevor Freya geht, ist noch etwas zu tun. Marion Yorck ist gekommen, und zusammen haben sie die versteckten Papiere vom Dachboden geholt, die Haupttexte ihrer Männer und ihrerFreunde, die die Gestapo den Kreisauer Kreis genannt hat. Es ist der 1. Oktober 1945. Offen liegt alles vor ihnen auf dem Esstisch von Kreisau. Marion und Freya beugen sich darüber. Sie werden nun aufschreiben, wie alles gekommen ist. Sie waren von Anfang an dabei, als ein Teil des Ganzen.
    »Wir halten am besten zuerst einmal die Geschichte des Kreises fest. Dann kommen die Namen und Lebensläufe der Beteiligten.«
    »Und dann sagen wir etwas

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