Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
Vom Netzwerk:
und Mutter aufzugehen. Sie könne deshalb fortan nicht mehr mit jenem vollständigen Einsatz für die Sache des Nationalsozialismus kämpfen, den die Parteizugehörigkeit in ihren Augen unbedingt erfordere. Deshalb erkläre sie blutenden Herzens ihren Austritt.
    »Großartig.«
    »Eine großartige Argumentation.«
    Wie sie lachen. Wie sie einander umarmen, an Libs’ Schreibtisch aus Liebenberg, der am Wohnzimmerfenster ihrer neuen Wohnung steht: Sie sind umgezogen, in die Waitzstraße.
    Sie haben ein Auto angeschafft. Sie haben ein Segelboot in Pichelsdorf liegen. Sie haben einen großen 4-Röhren-Radio-Super erworben, den sie nun abends immer anschalten.
    Nicht dass Harro den Radionachrichten trauen würde.
    Harro bezieht seine Nachrichten aus dem Amt. Er ist überzeugt davon, dass der spanische Konflikt demnächst auf ganz Europa übergreifen wird. Schon jetzt kämpfen in Spanien doch Iren, Österreicher, Deutsche, Engländer Seite an Seite mit den beiden Kriegsparteien. Ein neuer Dreißigjähriger Krieg steht Europa bevor: Nicht mehr Staaten werden sich gegeneinander wenden, sondern der Riss wird sich quer durch die Nationen, quer durch alle Völker ziehen. Jeder wird für sich allein entscheiden müssen, auf welcher Seite er steht. Harros Seite ist klar. Er steht auf seiner eigenen und ansonsten auf der aller anständigen Menschen.
    Einige Male erfährt er im Amt die Namen von Spitzeln,die Deutschland in die Linien der roten Spanienkämpfer einschleust. Libertas’ Base Gisella von Pöllnitz wirft die Zettel mit den Namen nachts heimlich in den Briefkasten der Sowjetbotschaft. Dann kehrt sie zu den Schulze-Boysens zurück, die ein paar Freunde eingeladen haben. Libs und Harro führen ein offenes Haus.
    Sie veranstalten regelmäßig Feste mit Lesungen und Musik, die sie Picknicks nennen und zu denen jeder willkommen ist. Sie lesen Ernst Jünger, Platon, Macchiavelli. Ernst Salomon kommt, Ernst Scholz, Albrecht Haushofer, auch die Schumachers, die schon vor 1933 zum ›gegner‹ - Kreis gehört haben.

6
    Kurt Schumacher ist 1932 zu dem Diskussionskreis im Café Adler am Dönhoffplatz gestoßen. Er war Mitglied der KPD, wie sein Vater. Er hat eine Lehre als Holzbildhauer gemacht, dann hat er an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst Bildhauerei studiert, wo er auch seine Frau kennengelernt hat: Elisabeth Schumacher geborene Hohenemser, Grafikerin bei der Reichsstelle für Arbeitsschutz.
    Elisabeth ist erst mit vierundzwanzig Jahren nach Berlin gezogen. Ihr Vater entstammte einer Frankfurter Bankiersfamilie. Fritz Hohenemser war Ingenieur. Er hatte ein Auto, er fuhr Ballon. Die ersten zehn Jahre ihres Lebens hat Elisabeth mit Papa, Mama und den Geschwistern in Straßburg gelebt, in einem großen Haus mit Personal und einem hellen Zimmer für Elisabeth ganz allein. Elisabeths Vater spielte das Cello. Er hielt Pferde, er ritt sehr gut. Er war Patriot: Sofort bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig an die Front. Im September 1914 verlieh man ihm das Eiserne Kreuz. Vier Wochen später war Fritz Hohenemser für Deutschland gefallen, und Rose Hohenemser, geborene Eckold, kehrte mit ihren fünf Kindern zurück zu ihrer Familie nach Meiningen, wo Elisabeth gelebthat, bis sie siebzehn Jahre alt war. Dann ist sie nach Frankfurt am Main gezogen.
    Es ist das Jahr 1921, und der Bruder ihres Vaters hat Elisabeth bei sich in Frankfurt als Haustochter aufgenommen. Elisabeth wird nun die Werkkunstschule in Offenbach besuchen, und nebenbei wird sie der Tante zur Hand gehen. Elisabeth steht im Wohnzimmer ihres Onkels. Das Wohnzimmer ist voller Menschen. Onkel Moritz ist da, die Tanten, diverse Vetter und Basen.
    »Natürlich war schon unser Vater getauft!«
    Keiner hat Elisabeths Kommen bemerkt. Sie hat ja nicht geklingelt: Sie hat seit gestern einen eigenen Schlüssel.
    »Natürlich sind wir alle getauft.«
    Elisabeth hat Onkel Paul noch nie so gesehen. Sie hat noch nie erlebt, dass der Onkel so erregt spricht, dass er mit der flachen Hand auf den Tisch schlägt, es ist Elisabeth unheimlich. Sie ist erst seit knapp einer Woche in Frankfurt. Natürlich hat sie gleich an ihrem zweiten Tag in Frankfurt an die Mama geschrieben.
    Liebe Mama!
    Es geht mir gut. Onkel Paul und die Tante haben mich sehr lieb aufgenommen. Auch Onkel Moritz war schon hier und hat mich willkommen geheißen. Aber Frankfurt gefällt mir überhaupt nicht. Ein furchtbares Gedränge, überall auf den Straßen. Und nie hätte ich gedacht,

Weitere Kostenlose Bücher