Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
lesen konnte, wenn sich jemand die Zeit nähme, sie ihr zu erklären.
Es musste doch eine Beschäftigung für sie geben, außer bloß ihr Bettzeug aufzuschütteln und ihr Geschirr zu spülen. Irgendwas Simples. Etwas, womit sie sich beschäftigen konnte, das keine große Verantwortung mit sich brachte. Wie die Verantwortung, gut 4000 Hektar Land, über eintausend Stück Vieh und eine Herde Zuchtpferde zu unterhalten. Ganz zu schweigen von etwa zwei Dutzend Angestellten. Da sie ein Mädchen war, hatte ihr Vater sie nie in den Betrieb eingeführt. Bis auf die Grundlagen, die sie sich in den achtzehn Jahren, die sie auf der Ranch gelebt hatte, wie von selbst angeeignet hatte, wusste sie nicht viel. Sie hatte keinen Schimmer, was einmal werden sollte, wenn ihr Vater nicht mehr da war. In letzter Zeit hatte sie viel darüber nachgegrübelt, und allein der Gedanke an die große Verantwortung machte sie ganz kribbelig und löste in ihr das überwältigende Verlangen aus, in ihren Wagen zu springen und so schnell wie möglich aus der Stadt zu verschwinden.
Nach dem täglichen Besuch bei ihrem Vater war sie nach Hause gefahren und hatte sich in eine Jeans, ein blaues T-Shirt und ein Reißverschluss-Sweatshirt von Lucky mit einem Buddha auf dem Rücken geworfen. Dann hatte sie ihren weißen Stetson und die weißen Cowboystiefel, die sie in ihrer Highschool-Zeit immer getragen hatte, wieder hervorgekramt. Die Cowboystiefel drückten ein bisschen, als wären ihre Füße eine halbe Nummer größer geworden, doch der Hut passte noch, als hätte sie ihn erst gestern getragen. Sie grub auch ihren alten maßgefertigten Gürtel aus, in dessen Leder das JH-Logo eingearbeitet und auf den hinten »SADIE JO« geprägt war. Er war ein bisschen steif, passte aber zum Glück noch.
Auch wenn sie jetzt in Arizona lebte, war sie doch immer noch Texanerin, und Founders’ Day war eine ernstzunehmende Angelegenheit. Es war ein Anlass, sich »chic zu machen«. Als sie zu den Fressbuden schlenderte, war sie heilfroh, sich so richtig aufgebrezelt zu haben. Den riesigen Hüten und Gürtelschnallen, den toupierten Haaren und der engen Wrangler’s nach zu urteilen, spaßte hier keiner.
An einer Fressbude genehmigte sie sich ein Hotdog mit Senf und eine Flasche Lone Star.
»Wie geht’s deinem Daddy?«, erkundigte sich Tony Franko, als er ihr das Bier reichte.
Sie kannte Tony von irgendwoher. Sie wusste nur nicht mehr woher. Genau wie fast alle um sie herum kannte sie jeden von klein auf, und jeder kannte sie. »Besser. Danke, Tony.« Es war nun eine Woche her, seit sie ihren Vater aus Laredo hatte hierher verlegen lassen.
Während sie über die Main Street schlenderte, wurde sie mehrfach von wohlmeinenden Menschen aufgehalten, die sich nach ihrem Dad erkundigten. Am Perlenstand verweilte sie länger und erstand zwei Korallenarmbänder für die Parton-Zwillinge.
»Wie geht’s deinem Daddy?«, fragte die Frau sie, als sie Sadies Geld entgegennahm.
»Besser. Ich richte ihm aus, dass Sie nach ihm gefragt haben.« Sie steckte die Armbänder in die Tasche und bummelte an den Buden mit Töpferware und Bienenwachskerzen vorbei. Während sie sich kleine, aus Stein gemeißelte Gürteltiere und Maiskolben ansah, aß sie ihr Hotdog. Plötzlich spürte sie eine Hand auf der Schulter.
»Das mit deinem Daddy hat Dooley und mir echt leidgetan, Sadie Jo. Wie geht’s ihm denn?«
Sie drehte sich zu einer Frau um, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte. Dooley? Dooley? Dooley Hanes, der Veterinär. »Es geht ihm schon besser, Mrs Hanes. Wie geht es Dooley?«
»Ach je, Dooley ist vor fünf Jahren gestorben. Er hatte Hodenkrebs. Als er die Diagnose bekam, war die Krankheit schon weit fortgeschritten.« Sie schüttelte bekümmert den Kopf, und ihr gewaltiges graues Haargewölbe geriet ins Wanken. »Er hat viel durchgemacht. Der Arme.«
»Das tut mir leid.« Sie trank einen Schluck Bier und hörte voll Anteilnahme zu, während Mrs Hanes all die bösen Malheure aufzählte, die seit Dooleys Ableben ihr widerfahren waren. Zu Hause zu hocken und sich Tiervideos reinzuziehen kam ihr plötzlich gar nicht mehr so schlimm vor. Hundevideos und ein Hammer über die Rübe klangen geradezu himmlisch.
»Sadie Jo Hollowell? Ich hab schon gehört, dass du im Lande bist.« Sadie drehte sich um und sah in ein breit grinsendes Gesicht mit dunkelbraunen Augen.
»Winnie Bellamy?« Als Erstklässlerin hatte sie hinter Winnie gesessen und die Schule gemeinsam mit ihr
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