Werben
Dame – im geschätzten Alter von fünfundsechzig – kommt mir gefährlich nahe.
»Hallo Hübscher. Dich habe ich hier aber noch nie gesehen. So was Knackiges sehen wir hier nicht oft.«
Ich erschaudere. Die Dame ist zwar sehr höflich, aber eine Rentnerin wollte ich heute Abend nicht abschleppen.
Ich überlege und in der Hast fällt mir nichts Besseres ein als: »Ja, guten Abend, gnä’ Frau. Ich bin aber des Öfteren hier zugegen. Nur war ich die letzten Wochen hinfort. Meine Freunde und ich kehrten gerade von einem Urlaub an der holländischen Küste zurück. Dort waren wir mit der psychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik auf einer Exkursion.«
»Du bist Arzt!«, stellt sie beeindruckt fest.
»Patient!«, antworte ich ihr und reiße dabei die Augen so weit auf, dass sich mein Gesicht zu einer Fratze verformt.
Sie guckt nun ziemlich verstört und wendet sich angeekelt weg. Schade, dass psychisch Kranke immer noch nicht gesellschaftlich akzeptiert werden.
Lea, so wird mir bewusst, wird zeitgleich von einem jungen blonden Typen betanzt. Er versucht sein Bestes, meine Prinzessin auf sich aufmerksam zu machen. Scheinbar ohne Erfolg. Lea hat sich nun in Ekstase getanzt wie manche indianischen Stämme unter dem Einfluss ihrer Bio-Drogen .
Wie sie so dahingleitet und ihren Kopf mit den langen blonden Haaren hin- und herschwingt, sieht sie aus wie ein realgewordener feuchter Traum auf zwei Beinen.
Relativ unästhetisch muss allerdings ich aussehen! So spüre ich, dass mir Spucke am Kinn hinunterläuft. Ganz offensichtlich scheine ich Lust auf eine Frau zu haben wie manch ein Hund auf’s Kotelett.
Den Sabber abwischend begebe ich mich wieder in ihre Nähe. Auch bei mir macht sie leider keine Anstalten, Notiz von der Welt um sich herum zu nehmen.
Aus Angst ein böser Drogendealer könne ihr etwas in ihren Drink geschüttet haben, tippe ich ihr mit dem Zeigefinger wie blöde auf den Rücken.
»Hallo Lea. Noch da? Haste du Bock zu fi…?« Ich beiße mir auf die Backen. Hoppla. Das wollte ich doch nicht gerade wirklich sagen? Ich setze erneut an: »Ich meine, haste Bock zu verschwinden? Draußen ist es viel leiser.«
Der Kandidat hat zehn Punkte. Mit erheblich klarerem Gesichtsausdruck folgt sie mir nach draußen in die – zur Straße angrenzende – Bar, wo wir uns an die Theke stellen.
Schweiß läuft ihr am Gesicht herunter. Ihre weiße Bluse macht Anstalten den ersten Platz des Miss-Wet-T-Shirt-Contests gewinnen zu wollen.
» Puhhh … toll hier, oder? All diese Brüste – ich meine guck … der Typ an der Brüstung da oben. Ob der wohl springen will?«
Sie dreht sich um und blickt zur Empore hoch, von welcher man das Treiben im Erdgeschoss beobachten kann. Da sie mich gerade nicht sehen kann, beiße ich mir selbst in die Hand bis es schmerzt, um nicht nochmals so einen sprachlichen Fauxpas zu begehen.
»Andy. Ich find’s toll hier«, dreht sie sich um. »Das war ne super Idee. Das tut meinem angeknacksten Selbstbewusstsein total guuuuut «, sagt sie euphorisch und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Ihr Haar riecht fantastisch, stelle ich dabei fest. Vielmehr ist es das Letzte, an das ich mich erinnere, denn danach werde ich bewusstlos.
***
Das Tolle an einer Ohnmacht ist nicht der Zustand an sich, sondern die Tatsache, dass sich hübsche Frauen über einen beugen und frische Luft zufächeln. Dabei besteht dann die prima Möglichkeit, in die Auslagen und Ausschnitte dieser Aushilfskrankenschwestern zu gucken.
In Leas Fall erkenne ich, dass sie einen weißen Büstenhalter trägt, den ich von einer H&M-Werbung neueren Datums zu erkennen glaube. Um nicht wieder denselben Camping-Fehler zu machen wie bei meinem Zahnarzt – ich rede von dem Hosen-Zeltdach – stehe ich schnell auf. Die Besucher der Bar beginnen, hämisch Beifall zu klatschen.
»Andy … alles in Ordnung? Du warst eine Minute lang weg.«
Ich bejahe ihre Frage, merke aber, dass ich immer noch ganz weiche Knie habe. Das müssen wohl lang aufgestaute Singlegefühle und ein immenser Hormon-Überschuss gewesen sein.
»Was ist denn los mit dir? Habe ich so schlimm gerochen, dass du umfallen musstest?«, fragt sie mich mit einem Lächeln.
»Ne. Ach was, Lea. Ich habe mich vorhin so sehr beim Tanzen verausgabt. Tut mir leid, wenn ich dir Sorgen bereitet habe. Geh ruhig wieder rein auf die Tanzfläche. Ich werde mich auf Toilette etwas frisch machen.«
Das obligatorische Desinfektionstuch in der Hand, öffne ich
Weitere Kostenlose Bücher