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Titel: Werben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Zimmermann
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Augenweide. Das Interieur äußerst geschmackvoll und die Kundschaft betucht. Die meisten Besucher sind Berufsalkoholiker oder nach Süßwaren süchtige, übergewichtige Kinder. Dem Besitzer der geschmackvollen Trinkhalle ist dies freilich egal. Vitali, so sein Name, ist in meiner Wohngegend eine Institution – laut meinem Vermieter Herrn Krug ein echtes Original, das allerdings nur gebrochen Deutsch sprechen kann.
    Beim Überqueren der Straße kommt in mir ein Gedanke auf. Ozzy geht doch immer so breitbeinig und nach vorne gebeugt. Meine Rolle ist demzufolge nicht perfekt. Aber wer braucht schon einen Method-Actor alla Robert De Niro. Dieser breitbeinige Gang ist mir seit Kurzem nicht fremd. Heißen Ravioli sei Dank! So fange ich wieder an, wie Lone Ranger zu seinen besten Zeiten zu gehen.
    Ich öffne also die Ladentür der beschaulichen Unternehmung. Jemand sitzt hinter einer – aus Apfelsinenkisten zusammengeschusterten – Theke. Die gesamte Einrichtung erinnert mich an meinen letzten Sperrmüll, aber sie ist dennoch total schön und sehr funktionell. Shabby Chic nennt man diesen Stil wohl.
    Günstig auch das schummrige Licht, welches meiner unprofessionellen Verkleidung entgegenkommt. Hinter mir fällt die Glastür unsanft in ihren Alurahmen. Der Kerl hinter der Theke lächelt mich freundlich an. Das Weiß seiner Zähne und einige Goldkronen sind soeben einzige Lichtquelle des vollkommen dunklen Ladenlokals.
    Mit einer Geste bittet mich der untersetzte Herr vor seinen Tresen und sagt kurz: »Hi!«
    Wenn mich meine sehr schlechten Geografiekenntnisse nicht täuschen, so ist dies die ukrainische Flagge hinter ihm. Sehr schön. Ein Staat, in dem Englisch keinesfalls Amtssprache ist. Dieser Umstand kommt mir sehr zupass. Englisch dürfte für den Verkäufer also eine Fremdsprache sein wie für mich Japanisch.
    Ich trete dem zuvorkommenden Ladenbesitzer entgegen: »Hi. I need one of your magical boxes that communicate with this thing called world wide web. You know what I mean?«
    »Wie bitte? Sprechen Sie kein Deutsch? Wissen Sie – leider ist mein Vetter gerade nicht hier. Vitali spricht fließend Englisch. Ich studiere derzeit nur Französisch«, antwortet mir der sehr freundliche Mann in einem astreinen Deutsch.
    Unglaublich dieser Typ hat sogar studiert. Mit meinem 3er Abi-Durchschnitt plus abgebrochenem BWL-Studium komme ich dagegen nicht an.
    »Sorry. Ich no gut in Deutsch. I am from Canada!«
    Beim letzten Satz zeige ich auf mich selbst. Eine gelungene Darbietung.
    »Vous êtes du Canada? Je m’appelle Wiktor. Parlez-vous français?«
    Wie blöd kann man sein? Da suche ich mir eines der wenigen zweisprachigen frankophonen Länder für meine fiktive Herkunft aus. Geografie war tatsächlich nie meine Stärke.
    »Ich halb halb. Canada und … und … Vatikanstadt. Habe Sie Internetz .«
    Skeptisch guckt Wiktor mich von oben bis unten an.
    »Wenn Sie unseren Internetzugang nutzen wollen, dann muss ich Ihren Pass haben. Sie verstehen? NO PASSPORT! NO INTERNET!«
    Eine bizarre Situation. Jetzt weiß ich, wie unverstanden man sich oft als Ausländer fühlen muss.
    Einen Ausweis mitzuführen, habe ich natürlich bedacht. Ein Vorzeigen von Pässen ist in Internetcafés durchaus üblich, da so der Kriminalität im WWW vorgebeugt werden soll. Schließlich muss zurückverfolgbar sein, wer – wann und wo – wie lange gesurft hat. Der deutsche Innenminister würde auf Wiktors hervorragendes Rechtsbewusstsein stolz sein. Wozu braucht man da noch einen Bundestrojaner zur Entdeckung Terrorverdächtiger?
    Ich ziehe also meine Erinnerung vom letzten Disneyland-Besuch aus der Tasche. Schön, dass man sich dort von verschiedenen Ländern spaßige Pässe kaufen konnte. Das Goofy-Bild habe ich freilich durch mein eigenes ersetzt. Die Unterschrift von Mickey Maus sieht andererseits weniger überzeugend aus. Jetzt muss ich wohl ein klitzekleines bisschen Glück haben.
    Wiktor kneift die Augen zu Schlitzen zusammen und bewegt den Pass in einer Auf- und Abwärtsbewegung vor seinem Gesicht. Was für eine arme Blindschleiche! Der Kerl erkennt praktisch nichts. Zur Sicherheit jagt er den Pass zum Kopieren schnell durch sein Faxgerät. Die Kopie legt er schließlich in eine Ablage auf der Theke.
    »Ja, wissen Sie. Leider habe ich meine Brille zuhause vergessen. Ach, was soll es? Du Idiot verstehst mich ja eh nicht. So einen abgerissenen Penner wie Dich habe ich noch nie gesehen! Der Ledermantel ist ja von anno Tobak – wie

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