Werke
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Ich weiß, Du findest es sonderbar, daß mein Forschungstrieb gerade zu dem Reiche der Insekten sich hingeneigt, und ich kann Dir in der Tat nichts anderes darauf antworten, als daß die ewige Macht nun gerade diese Neigung so in mein Innerstes hineingewebt hat, daß mein ganzes Ich sich nur in dieser Neigung zu gestalten vermag. Nicht vorwerfen darfst Du mir aber, daß ich über diesen Trieb, der Dir seltsam erscheint, die Menschen oder gar Verwandte, Freunde vernachlässige, vergesse. – Niemals werde ich es dahin bringen, es jenem alten holländischen Obristleutnant gleichzutun, der – doch um Dich durch den Vergleich, den Du dann zwischen diesem Alten und mir anstellen mußt, zu entwaffnen, erzähle ich Dir die merkwürdige Historie, die mir eben in den Sinn kam, ausführlich. – Der alte Obristleutnant (ich machte in Königsberg seine Bekanntschaft) war, was Insekten betrifft, der eifrigste, unermüdetste Naturforscher, den es jemals gegeben haben mag. Die ganze übrige Welt war für ihn tot, und wodurch er sich der menschlichen Gesellschaft allein nur kundtat, das war der unausstehlichste, lächerlichste Geiz und die fixe Idee, daß er einmal mittelst eines Weißbrots vergiftet werden würde. – Irre ich nicht, so heißt dies Weißbrot im Deutschen Semmel. – Ein solches Brot buk er sich jeden Morgen selbst, nahm es, war er zu Tische gebeten, mit und war nicht dahin zu bringen, ein anderes Brot zu genießen. Als Beweis seines tollen Geizes mag Dir der Umstand genügen, daß er, seines Alters unerachtet ein rüstiger Mann, Schritt vor Schritt mit weit von dem Leibe weggestreckten Armen auf den Straßen einherging, damit – die alte Uniform sich nicht abscheure, sondern fein konserviere! – Doch zur Sache! – Der Alte hatte keinen Verwandten auf der ganzen Erde, als einen jüngeren Bruder, der in Amsterdam lebte. Dreißig Jahre hatten die Brüder sich nicht gesehen; da machte der Amsterdamer, von dem Verlangen getrieben, den Bruder noch einmal wiederzusehen, sich auf den Weg nach Königsberg. – Er tritt ein in das Zimmer des Alten. – Der Alte sitzt an dem Tische und betrachtet, das Haupt hinübergebeugt, durch eine Lupe einen kleinen, schwarzen Punkt auf einem weißen Blatt Papier. Der Bruder erhebt ein lautes Freudengeschrei, er will dem Alten in die Arme stürzen, der aber, ohne das Auge von dem Punkt zu verwenden, winkt ihn mit der Hand zurück, gebietet ihm mit einem wiederholten: »St-St-St-« Stillschweigen. »Bruder,« ruft der Amsterdamer, »Bruder, was hast du vor! – Georg ist da, dein Bruder ist da, aus Amsterdam hergereiset, um dich, den er seit dreißig Jahren nicht sah, noch wiederzusehen in diesem Leben!« – Aber unbeweglich bleibt der Alte und lispelt: »St-St-St-Tierchen stirbt!« – Nun bemerkt der Amsterdamer erst, daß der schwarze Punkt ein kleines Würmchen ist, das sich in den Konvulsionen des Todes krümmt und windet. Der Amsterdamer ehrt die Leidenschaft des Bruders, setzt sich still neben ihm hin. Als nun aber eine Stunde vergeht, während der Alte auch nicht mit einem Blicke sich um den Bruder kümmert, springt dieser ungeduldig auf, verläßt mit einem derben holländischen Fluch das Zimmer, setzt sich auf zur Stelle und kehrt zurück nach Amsterdam, ohne daß der Alte von allem auch nur die mindeste Notiz nimmt! – Frage Dich selbst, Eduard, ob ich, trätest Du plötzlich hinein in meine Kajüte und fändest mich vertieft in die Betrachtung irgendeines merkwürdigen Insekts, ob ich dann das Insekt unbeweglich anschauen oder Dir in die Arme stürzen würde?
Du magst, mein lieber Freund, denn auch daran denken, daß das Reich der Insekten gerade das wunderbarste, geheimnisvollste in der Natur ist. Hat es mein Freund Brougthon mit der Pflanzen – und mit der vollkommen ausgebildeten Tierwelt zu tun, so bin ich angesiedelt in der Heimat der seltsamen, oft unerforschlichen Wesen, die den Übergang, die Verknüpfung zwischen beiden bilden. – Doch! – ich höre auf, um Dich nicht zu ermüden, und setze nur noch, um Dich, um Dein poetisches Gemüt ganz zu beschwichtigen, ganz mit mir auszusöhnen, hinzu, daß ein deutscher geistreicher Dichter die in den schönsten Farbenschmelz geputzten Insekten freigewordene Blumen nennt. Erlabe Dich an diesem schönen Bilde! –
Und eigentlich – warum sagt’ ich so viel, um meine Neigung zu rechtfertigen? Geschah es nicht, um mich selbst zu überreden, daß mich bloß der allgemeine Drang des Forschens unwiderstehlich nach
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