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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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wie Gespenster. Und ich habe so darauf gewartet, daß sie wiederkommen sollten; mein ganzes Leben lang habe ich darauf gewartet; Gott verzeihe es ihnen! Siehst du, Netotschka, wir haben jetzt schon Spätherbst; bald wird Schnee fallen; mit dem ersten Schnee werde ich sterben, ja; aber ich bin nicht traurig darüber. Lebt alle wohl!“
    Ihr Gesicht war blaß und mager; auf jeder Backe glühte ein unheilverkündender, blutroter Fleck; ihre Lippen zitterten und waren von der innerlichen Hitze ausgetrocknet.
    Sie trat an das Klavier und griff einige Akkorde; in diesem Augenblicke sprang eine Saite mit einem Klirren, an das sich ein langer, kläglicher Ton anschloß...
    „Hörst du wohl, Netotschka, hörst du wohl?“ sagte sie wie infolge einer Eingebung und zeigte auf das Klavier. „Diese Saite war zu stark gespannt: sie hat es nicht ausgehalten und ist gestorben. Hörst du wohl, wie kläglich der Ton erstirbt?“ Sie sprach nur mit Anstrengung. Ein dumpfer Seelenschmerz prägte sich auf ihrem Gesichte aus; ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    „Nun genug davon, Netotschka, liebes Kind; genug! Bring mir die Kinder her!“
    Ich holte sie. Bei ihrem Anblick schien sie sich zu erholen; nach einer Stunde schickte sie sie wieder weg.
    „Wenn ich sterbe, wirst du sie nicht verlassen, nicht wahr, Anneta? Ja?“ sagte sie flüsternd zu mir, wie wenn sie fürchtete, es könnte uns jemand hören.
    „Hören Sie auf! Sie töten mich!“ konnte ich nur als Antwort herausbringen.
    „Ich habe ja nur gescherzt“, sagte sie nach kurzem Stillschweigen lächelnd. „Hast du wirklich geglaubt, ich spräche im Ernst? Ich rede ja manchmal Gott weiß was zusammen. Ich bin jetzt wie ein Kind; man muß mir vieles verzeihen.“
    Hier sah sie mich schüchtern an, als fürchte sie sich, etwas auszusprechen, was sie doch glaubte sagen zu müssen. Ich wartete.
    „Erschrecke ihn nicht, hörst du wohl?“ sagte sie endlich; sie hielt die Augen niedergeschlagen; eine leichte Röte überzog ihr Gesicht; sie sprach so leise, daß ich es kaum vernehmen konnte.
    „Wen?“ fragte ich erstaunt.
    „Meinen Mann. Du willst ihm am Ende alles heimlich wiedererzählen.“
    „Warum? Wie sollte ich dazu kommen?“ fragte ich in immer größerem Erstaunen.
    „Nun, vielleicht willst du es auch nicht tun; wer kann’s wissen?“ antwortete sie und versuchte, mich dabei so listig, wie es ihr möglich war, anzusehen, wiewohl noch dasselbe gutmütige Lächeln um ihre Lippen spielte und ihr die Röte immer mehr ins Gesicht stieg. „Genug davon! Es war ja alles nur Scherz!“
    Mein Herz krampfte sich immer schmerzhafter zusammen.
    „Aber hörst du wohl, du wirst sie liebhaben, wenn ich tot bin; ja?“ fügte sie ernsthaft und wieder mit gewissermaßen geheimnisvoller Miene hinzu; „so, wie du deine eigenen Kinder liebhaben würdest, ja? Vergiß es nicht: Ich habe dich immer wie mein eigenes Kind gehalten und dich nicht anders behandelt wie die meinigen.“
    „Ja, ja“, antwortete ich, ohne zu wissen, was ich redete; ich konnte vor Tränen und Aufregung kaum sprechen.
    Ein heißer Kuß brannte auf meiner Hand, ehe ich sie wegziehen konnte. Das Erstaunen lähmte mir die Zunge.
    „Was ist nur mit ihr?“ ging es mir durch den Kopf. „Was haben die beiden gestern nur miteinander gehabt?“
    Gleich darauf begann sie über Müdigkeit zu klagen.
    „Ich bin schon lange krank; ich wollte euch beide nur nicht erschrecken“, sagte sie. „Ihr habt mich ja beide lieb, nicht wahr? ... Auf Wiedersehen, Netotschka! Verlaß mich jetzt; aber komm am Abend bestimmt wieder her; ja?“
    Ich versprach es ihr; aber ich war froh, wegzukommen. Ich konnte dieses Gespräch nicht mehr ertragen.
    „Du Arme, du Arme!“ rief ich schluchzend. „Welch ein unwürdiger Verdacht begleitet dich bis ins Grab? Und was für ein neuer Kummer, von dem du kaum ein Wort zu sagen wagst, zerreißt dir das Herz? O Gott, dieses lange Märtyrertum, das ich nun schon ganz genau kenne, dieses freudlose Leben, diese schüchterne Liebe, die nichts für sich fordert! Und selbst jetzt, wo sie fast schon auf dem Totenbette liegt und ihr das Herz vor Leid bricht, scheut sie sich auch nur leise zu murren und zu klagen, als ob sie eine Verbrecherin wäre. Und nun hat sie sich ein neues Leid ausgesonnen und eingebildet, und auch dem hat sie sich bereits gefügt, auch in das hat sie sich gefunden!...“
    Am Abend in der Dämmerstunde benutzte ich die Abwesenheit Owrows, der nach Moskau gefahren war, und

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