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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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Haltung und machte in dieser Zeit Höllenqualen durch. Schließlich konnte ich es nicht mehr ertragen und ließ anfragen, ob ich zu Alexandra Michailowna kommen könne. Madame Léotard brachte mir die Antwort. Pjotr Alexandrowitsch ließ mir sagen, der Anfall sei vorüber, und es bestehe keine Gefahr; aber Alexandra Michailowna bedürfe der Ruhe. Ich legte mich erst um drei Uhr morgens schlafen; bis dahin ging ich immer, mit meinen Gedanken beschäftigt, im Zimmer auf und ab. Meine Lage war rätselhafter als jemals; aber ich fühlte mich ruhiger, vielleicht weil ich mich von allen am schuldlosesten fühlte. Ungeduldig dem nächsten Morgen entgegensehend, legte ich mich schlafen.
    Aber am andern Tage bemerkte ich zu meiner schmerzlichen Verwunderung eine unerklärliche Kälte in Alexandra Michailownas Benehmen. Anfangs meinte ich, es sei diesem reinen, edlen Herzen peinlich, mit mir zusammen zu sein, nachdem ich gestern eine unfreiwillige Zeugin der Szene mit ihrem Manne gewesen war. Ich wußte, daß sie mit ihrem Kindergemüt imstande war, vor mir zu erröten und mich um Verzeihung dafür zu bitten, daß die unglückliche Szene gestern vielleicht meine Gefühle verletzt habe. Aber bald bemerkte ich, daß ihre Sorge und ihr Verdruß einen andern Ursprung hatten und sich in recht ungeschickter Weise äußerten: bald gab sie mir trockene, kühle Antworten; bald war aus ihren Worten ein besonderer Sinn herauszuhören; bald endlich wurde sie auf einmal gegen mich sehr zärtlich, wie wenn sie dieses mürrische Wesen bereute, das ihr ja nicht von Herzen kommen konnte, und ihre freundlichen, sanften Worte klangen wie ein leiser Vorwurf. Zuletzt fragte ich sie geradezu, was sie denn eigentlich habe, und ob sie mir etwas mitteilen wolle. Bei meiner schnellen Frage wurde sie ein wenig verlegen; aber sofort schlug sie auch ihre großen, stillen Augen zu mir auf, sah mich mit einem zärtlichen Lächeln an und sagte:
    „Ich habe nichts, Netotschka; nur, weißt du, als du mich so plötzlich fragtest, wurde ich ein wenig verlegen. Das kam daher, daß du mich so auf einmal fragtest; ich versichere dich. Aber höre du einmal und antworte mir die Wahrheit, mein Kind: Hast du irgend etwas auf dem Herzen, was dich ebenso verlegen machen könnte, wenn du danach ebenso plötzlich und unerwartet gefragt würdest?“
    „Nein“, antwortete ich und blickte sie mit klaren Augen. an.
    „Nun, das ist gut! Wenn du wüßtest, liebes Kind, wie dankbar ich dir für diese schöne Antwort bin! Nicht, daß ich dir irgend etwas Schlechtes zugetraut hätte; das werde ich niemals tun! Ich würde mir nicht einmal einen solchen Gedanken verzeihen. Aber höre: Ich habe dich zu mir genommen, als du noch ein Kind warst, und jetzt bist du siebzehn Jahre alt. Du hast es selbst gesehen: Ich bin krank; ich bin selbst wie ein kleines Kind; ich bedarf noch der Pflege. Ich habe dir eine leibliche Mutter nicht völlig ersetzen können, obwohl ich eine große, große Liebe für dich im Herzen hege. Wenn mich jetzt die Sorge um dich quält, so ist das selbstverständlich nicht deine Schuld, sondern die meinige. Verzeih mir die Frage von vorhin, und verzeih mir auch, daß ich vielleicht wider meinen Willen nicht alle die Versprechungen erfüllt habe, die ich dir und meinem Vater, dem Fürsten, gab, als ich dich aus seinem Hause nahm. Das beunruhigt mich sehr und hat mich oft beunruhigt, liebes Kind.“
    Ich umarmte sie und fing an zu weinen.
    „Oh, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen für alles!“ rief ich, indem ich ihre Hände mit Tränen benetzte. „Reden Sie nicht so zu mir, zerreißen Sie mir nicht das Herz! Sie sind mir mehr als eine Mutter gewesen; Gott segne Sie beide, Sie und den Fürsten, für alles, was Sie an mir Armen, Verlassenen getan haben! Sie Arme, Sie Liebe!“
    „Hör auf, Netotschka, hör auf! Umarme mich lieber; so, fester, fester! Weißt du was? Ich habe, Gott weiß woher, das Gefühl, daß du mich zum letztenmal umarmst.“
    „Nein, nein!“ versetzte ich, schluchzend wie ein Kind. „Nein, das kann nicht sein! Sie werden glücklich sein! Sie haben noch viele Lebenstage vor sich. Glauben Sie nur, wir werden glücklich sein.“
    „Ich danke dir, ich danke dir dafür, daß du mich so liebst. Jetzt habe ich nur wenige Menschen um mich; alle haben sie mich verlassen!“
    „Wer hat Sie denn verlassen? Wen meinen Sie?“
    „Früher hatte ich viele Freunde; du weißt das nicht, Netotschka. Sie haben mich alle verlassen; alle sind sie verschwunden

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