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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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all dies ein rein örtliches Kolorit war und eben nur die Revalenser kennzeichnete ... Doch bei seiner Neigung zur Verallgemeinerung blieb in ihm seitdem ein gewisses Vorurteil gegen alles Deutsche.«
    Michail Michailowitsch hatte inzwischen mit Hilfe seiner Frau den Bruder mit Wäsche und Kleidern, die in Reval so billig waren, vollkommen ausgestattet. Doch da er wußte, daß sein Bruder niemals auch nur ahnte, was und wieviel er eigentlich besaß, bat er den Freund Riesenkampf, in Petersburg doch mit Fjodor Michailowitsch zusammen zu wohnen und dann nach Möglichkeit mit seinem Beispiel deutscher Ordnungsliebe auf den Bruder einzuwirken. Das versuchte Riesenkampf denn auch, nachdem er im September 1843 nach Petersburg zurückgekehrt war. Dostojewski saß, als Riesenkampf ihn dort aufsuchte, ohne eine Kopeke zu Hause und lebte nur von Milch und Brot, die er auf Borg aus dem nächsten kleinen Laden bekam. »Fjodor Michailowitsch,« bemerkt Dr. Riesenkampf, »gehörte zu jenen Menschen, mit denen zu leben für alle angenehm ist, die aber selbst beständig in Not sind. Er wurde jämmerlich bestohlen, doch bei seiner Vertrauensseligkeit und Güte wollte er sich das nicht eingestehen oder gar die Dienstboten und deren Krippenreiter, die seine Arglosigkeit mißbrauchten, des Diebstahls überführen«. So kam es, daß selbst das Zusammenleben mit dem Doktor für Dostojewski dauernd Veranlassung zu neuen Ausgaben wurde, denn er war bereit, jeden Armen, der um ärztlichen Rat zum Doktor kam, wie einen teuren Gast zu empfangen. »Da ich mich daran mache, das Leben der armen Menschen zu schildern,« pflegte er dann, gleichsam zu seiner Rechtfertigung, zu sagen, »so freue ich mich der Gelegenheit, das Proletariat der Großstadt näher kennen zu lernen«. Doch die riesigen Rechnungen, die am Ende des Monats selbst ein einzelner Bäcker schickte, standen, wie sich bei einer Untersuchung herausstellte, weniger mit der erwähnten Gastfreundschaft Fjodor Michailowitschs in Zusammenhang, als mit seinem Bedienten Ssemjon, der innige Beziehungen zur Wäscherin unterhielt und nicht nur diese, sondern auch deren ganze Familie und sogar ihren Freundeskreis auf Rechnung seines Herrn versorgte. Auf ähnliche Weise erklärte sich bald auch die schnelle Abnahme des Wäschebestandes, der übrigens alle drei Monate von Dostojewski ergänzt wurde, nämlich jedesmal, wenn er das Geld aus Moskau erhielt. Und sein Ssemjon war nicht der einzige, der sein Vertrauen so mißbrauchte. Dasselbe taten auch der Schneider, der Schuster, der Barbier usw.; und ebenso mußte man ihn zu der ernüchternden Erkenntnis bringen, daß durchaus nicht alle von ihm bewirteten Patienten Dr. Riesenkampfs eine solche Teilnahme verdienten.
    Seine völlige Geldlosigkeit dauerte damals gegen zwei Monate. Da, eines Tages, begann er plötzlich ganz anders in seinem Saal umherzugehen: laut, selbstbewußt, beinahe stolz. Er hatte aus Moskau 1000 Rubel erhalten. »Doch schon am nächsten Morgen,« erzählt Dr. Riesenkampf, »kam er wieder in seiner leisen, schüchternen Art in mein Schlafzimmer und bat mich, ihm 5 Rubel zu leihen.« Der größte Teil der erhaltenen 1000 Rubel war zur Tilgung der Schulden draufgegangen, das übrige hatte er zum Teil verspielt, und die letzten 50 Rubel waren ihm dann noch gestohlen worden: von einem unbekannten Spielpartner, den er – als bemerkenswertes Subjekt für seine Beobachtungen – am Abend zu sich eingeladen und einen Augenblick im Zimmer allein gelassen hatte.
    Ein besonderes Interesse hatte er, aus dem gleichenGrunde, namentlich für einen der Patienten des Doktors: für den Bruder des Klavierlehrers Keller. Es war das ein kleiner, unruhiger, schmeichlerischer, ziemlich heruntergekommener Deutscher, von Beruf Agent, doch in Wirklichkeit eigentlich nur ein Schmarotzer. Nachdem dieser Keller nun die arglose Gastfreundschaft Dostojewskis sozusagen entdeckt hatte, wurde er für eine Zeitlang sein täglicher Gast: er kam zum Tee, blieb zum Mittagessen, blieb zum Abend, und Dostojewski hörte geduldig seine Erzählungen von dem Petersburger Großstadtproletariat an. Oft schrieb er sich das Gehörte auf, und wie Dr. Riesenkampf später feststellen konnte, spiegelte sich manches aus diesem ursprünglich von Keller stammenden Material in den Romanen »Arme Leute«, »Der Doppelgänger«, »Njetotschka Neswanowa« u.+a. wieder.
    Im Dezember 1843 war Dostojewski abermals ganz mittellos. Am 1. Februar 1844 erhielt er aus Moskau wieder 1000 Rubel,

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