Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
tief genommen werden wie Dostojewskis Werk. Ihr Trost liegt in der Erkenntnis, daß das Menschliche-Allzumenschliche nicht bloß auf die heroische Nietzsche-Art überwunden werden kann, sondern auch auf die für unsere Begriffe sklavische Art Dostojewskis. Doch da tun sich wieder die Abgründe auf, von denen dieser Versuch eines Überblicks über die Welt Dostojewskis ausgegangen ist. Gleichzeitig aber fühlen wir, was die beiden Gegenpropheten miteinander verband: der Wille, zur Überwindung des Gemeinen.
Sonderbar: Ich gedachte vom Menschen Dostojewski zu reden und kam wieder auf sein Werk. Es kann das nicht anders sein, denn die beiden decken sich vollkommen. Das Pandämonium Dostojewskis und das Pandämonium in seinem Werke ist ein und dasselbe.
Dostojewski, der so oft schreiben mußte, um zu leben, lebte doch nur, um schreiben zu können. Das Schreiben war die Hauptfunktion seines Lebens. Man darf sagen, er atmete seine Dichtung aus. Und wie alles Leben Selbstverzehren ist, so war es auch seines, das Dichten war. Er ist unsterblich, weil er nicht allein seine genialen Kräfte restlos an dieses dichtende Leben gab, sondern auch gefühlte Erfahrungen und angeborene Leidenszüge von einer Intensität, wie sie kaum jemals einem Genius beschieden worden sind.
Darum muß von seinem Schicksale auch die Rede sein.
Wer eine Biographie Dostojewskis gelesen hat (ich kenne nur die von N. Hoffmann), der wird sofort dreierlei erkennen, was die Entwicklung seines Genies beeinflußt hat.
Einmal: Dieser Mann ist wegen eines Nichts zum Tode verurteilt worden, er stand bereits am Pfahle, des tödlichen Schusses gewärtig und wurde nach den Ewigkeitsminuten der Todeserwartung zur Zwangsarbeit in Sibirien begnadigt, die er vier Jahre lang erduldet hat. Was heißt das? Lest seine Bücher, und ihr wißt es. Ihr wißt dann auch, daß seine Demut nichts Konstruiertes, sondern etwas Erlebtes, nichts Niederes, sondern der unerhörte Triumph einer Seele ist, die man nicht anders als überchristlich nennen kann? Uns ballen sich die Fäuste schon, wenn wir das nichtswürdig Scheußliche dieser perfiden, grausamen »Begnadigung« lesen und die Marterungen eines solchen Geistes unter der drohenden Knute. Er aber war es imstande, all das hinzunehmen und zu betrachten wie etwas Verdientes und Gerechtes. Und konnte später von dem Zaren, der es ihm angetan, mit der souveränen Milde eines Heiligen sprechen. Welch ein Mensch! Und er hat es nie als etwas Besonderes empfunden, sondern als etwas Selbstverständliches, daß er so fühlen und denken konnte. Diese Art amor fati ist kaum die Nietzsches. Sie ist wohl russisch, aber genial sublimiert.
Man würde sich aber irren, wenn man glaubte, es sei durch dieses Erlebnis an Dostojewski geschehen, was an Oskar Wilde durch seine Zuchthausstrafe geschah. Er wurde nicht zertreten, sondern erhoben, er wurde nicht verdunkelt, sondern verklärt. Er wurde nicht ein anderer, sondern ganz Er, Er in einer höheren Potenz. Und, was das Wichtigste ist, es geschah das nicht etwa aus der Sensation des Schmerzes, wie aus einem Leidensrausch, der gleichsam Begnadung, Inspiration war, sondern offenbar Kraft des kämpfenden Gedankens. Die Demut kam nicht über ihn mit der Gewalt des unerhörten Erlebnisses, sondern er kämpfte sich zur Demut durch, von dem Erlebnisse nicht geschwächt, sondern gleichsam erfüllt, belebt, erstärkt. Mit anderen Worten: nicht das Erlebnis überwand ihn, sondern kraft des Erlebnisses überwand er sich selbst, um dennoch gerade dadurch zu seinem Innersten zu gelangen.
Ferner: Er war Epileptiker . Was heißt das? Nur, daß er die Fallsucht hatte, wie mancher andere? Daß man ihn also »pathologisch« erklären kann? Nein: Genie kann so wenig durch Epilepsie wie durch rhachitische Schädelbildung erklärt werden.
Aber es scheint, daß Epilepsie, bei genialen Menschen auftretend, die Genialität gleichsam dämonisch tingiert. Es scheint, daß ihre Zustände die Sphäre des Unterbewußtseins gleichsam mystisch erleuchten, daß sie Momente der Ekstase hervorrufen, die im genialen Gehirn später produktiv werden, und zwar in jener vehementen Richtung zum Entfesselten innerer Gesichte und zum seelischen Hellsehen, das für Dostojewski kennzeichnend ist. – Was heißt es also? – Daß er eine geheimnisvolle, für einen kurzen Moment jach und herrlich erhebende, für Tage darauf grausam niederwerfende Macht in sich fühlte, den Dämon.
Und dann: Dieser Herr über ungeheuere Reichtümer des
Weitere Kostenlose Bücher