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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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er dreißig von ihnen um.« Charles blickte Miss Wrigley mit echter Verständnislosigkeit an. »Sie haben gesagt, daß beide so eine Art tierische Ungeheuer waren, und daß Heldentaten nötig waren, um sich von ihnen zu befreien, wie zum Beispiel, wenn die Schöne ihre Familie verläßt, weil ihr das Tier leid tut, und wenn dann Beowulf den Kampf mit dem Riesen aufnimmt, vor dem alle anderen Todesangst haben. Aber nirgends steht, warum die Ungeheuer so unglücklich sind, daß sie Menschen töten und auffressen müssen und alles so was.«
    Miss Wrigley wartete auf Kommentare. Sally Marshall, die Gescheiteste in der vierten Klasse, die immer den Finger hob, auch wenn sie die Antwort nicht wußte, hob auch jetzt die Hand. Miss Wrigley nickte.
    »Sie, ich meine das Tier und der Riese Grendel, sind böse und darum sind sie unglücklich«, erklärte sie, ihrer Sache sehr sicher. »Mrs. Ottenbeck in der Kirche hat gesagt, daß das der Grund ist, warum die Menschen unglücklich sind, weil sie böse sind.«
    »Danke, Sally«, sagte Miss Wrigley. »Was meint ihr zu dieser Antwort?« Die Frage war an alle Kinder gerichtet.
    Kenny Grattan flüsterte, »Bockmist«, aber keiner achtete auf ihn.
    »Ja, gut«, sagte Charles nachdenklich. »Das kann schon sein, aber was war zuerst da? Waren sie erst unglücklich und wurden dann böse, oder waren sie erst böse und waren dann darüber unglücklich? So oder so find’ ich’s komisch, daß sie einfach herumsitzen und die ganze Zeit unglücklich und böse sind. Das schaut so aus, als hätten sie nur darauf gewartet, daß irgendein Held daherkommt und sie umlegt.«
    »Ist euch aufgefallen«, fragte Miss Wrigley, »daß sowohl das Tier als auch der Riese Grendel sich von den übrigen Menschen unterschieden haben? Daß sie keine Freunde hatten, mit denen sie reden konnten, nicht mal einen einzigen? Vielleicht waren sie unglücklich und böse, weil sie nicht so waren wie die anderen Menschen und weil sie niemanden hatten, der sie lieb hatte.«
    »Drum ist das Tier dann ein staatlicher Prinz geworden«, rief Lula Bright, ohne die Hand zu heben. »Weil die Schöne angefangen hat, ihn lieb zu haben, und da ist er staatlich geworden.«
    Sie brach verlegen ab, als einige der Kinder zu lachen begannen.
    »Doch nicht staatlich!« brüllte Harry Bennett. »Stattlich! Ha! Ein staatlicher Prinz! Oh, mein staatlicher Prinz«, schrie er im Falsett, während alle grölten vor Lachen, und die Kinder der anderen Klassen von ihren Arbeiten aufblickten und die Ohren spitzten.
    »Harry«, sagte Miss Wrigley ruhig mitten in das Gelächter hinein, »wenn du das nächste Mal ein Wort falsch aussprichst, sollten wir Lula eine Chance geben, auch über dich zu lachen. Ist dir das recht?«
    Harry zog den Kopf ein und flüsterte mit Kenny, während die anderen sich langsam beruhigten. Miss Wrigley wartete noch einen Moment, dann wandte sie sich wieder an Charles.
    »Das ist wirklich eine ausgezeichnete Frage, Charles«, sagte sie mit gerunzelter Stirn. »Selbst wenn wir sagen, daß die Ungeheuer unglücklich sind, weil sie anders sind und von niemandem geliebt werden, ist es irgendwie mysteriös, weil sie tatsächlich zu warten scheinen.« Sie machte in echtem Nachdenken eine kleine Pause und wiederholte dann wie zu sich selbst. »Ja, sie scheinen tatsächlich auf das Unheil zu warten.«
    Der kleine Joe Ricci war zwar der Diskussion gefolgt, nicht aber der Auseinandersetzung. »Sie sind doch einfach Ungeheuer«, rief er, »und Ungeheuer machen schlimme Sachen, weil sie Ungeheuer sind, und sie sind Ungeheuer, weil sie –« Er brach ab, perplex über den Kreis, den er da gezogen hatte. Dann erhellte sich sein kleines rundes Gesicht wieder in einem Grinsen. »Jedenfalls, wenn ich ein Ungeheuer wäre, hätte ich einen Heidenspaß!« Und alle lachten.
    Die Frage war auch am Ende der Stunde noch nicht gelöst, und da es keinen in der dritten oder vierten Klasse wirklich zu kümmern schien, ob sie je gelöst werden würde oder nicht, hatte Charles weiterhin gewisse Zweifel an der Wahrheit der betreffenden Sagen.
    Er konnte sich nicht vorstellen, daß ein Geschöpf so lebte, wie es in den Büchern beschrieben wurde. Ein solches Dasein schien so sinnlos. Es half ihm kaum, als Miss Wrigley nach dem Unterricht mit ihm über den Symbolismus von gut und böse sprach. Zunächst erfaßte er den Gedanken gar nicht, und als er dann doch begriff, verloren die Geschichten bei dem Gedanken, daß sie nur als warnendes Beispiel erfunden

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