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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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süßen Kartoffeln, sein ganzer Körper ein Tempel exquisiter Lust.
    Auch mir sagt das Mahl zu, aber auf andere Weise; der Wein treibt mich auf die Oberfläche von Charles’ Sinnen, als er durchdringt und mich aus meinem Schlummer weckt. Charles und ich sind in wohliger Zweisamkeit zugegen, während er ißt und in genußvollen kleinen Schlucken, die mich erfreuen, den leichten roten Wein trinkt. Gemeinsam hören wir dem Gespräch zu, ohne uns darüber Gedanken zu machen, ob in unserer beider Gegenwart ein Konflikt liegt, und ich habe das Empfinden, daß ich vielleicht meine Sinne noch ein bißchen weiter spannen könnte, um diesen Moment voller auszukosten, doch auf eine Warnung von Charles merke ich, daß ich mich beinahe verwandelt habe, so behaglich und träge ist alles geworden.
    Nachdem das Hauptgericht so ziemlich ratzekahl aufgegessen war, bemerkte Mrs. Boldhuis, daß es noch Pastete und Kürbistorte mit Schlagsahne gäbe, wenn wir Appetit darauf hätten. Mr. Boldhuis stellte sein Lächeln auf den Kopf und erklärte, er sei absolut unfähig, auch nur noch einen Bissen zu essen, Miss Wrigley beteuerte, daran sei im Moment nicht zu denken, und Charles warf einen beinahe verständnislosen Blick in die Runde. Vollgestopft wie er war, und mit zwei Gläsern Wein im Bauch, verschmolz sein Geist auf höchst angenehme Weise in einem unbestimmten Gefühl tierischen Gesättigtseins. Ich bin erfüllt von Wohlbehagen und nichts kümmert mich als die Freundlichkeit von Charles’ körperlichen Reaktionen. Ich ziehe mich von Charles’ Seite zurück, bin aber dem Wachzustand näher als sonst, als die Menschen ins Wohnzimmer hinübergingen und sich in den Sesseln rund um das Klavier niederließen. Draußen war es inzwischen fast dunkel geworden, und Mr. Boldhuis behauptete, er könne den Schnee riechen, auch wenn er ihn nicht sehen könne, und das könne nur bedeuten, daß er per Express von Chicago herunterkäme und spätestens um sechs Uhr sieben hier sein würde. Als Mrs. Boldhuis hereinkam, fragte Mr. Boldhuis sehr ruhig, ob sie nicht ein bißchen Chopin spielen könne, während ihre Körper sich von den Strapazen des köstlichsten Essens im ganzen mittleren Westen erholten. Danach könnten sie dann alle gemeinsam das Abspülen in Angriff nehmen und im Nu alles sauber machen.
    Die Züge der schlanken Frau mit dem traurigen Gesicht hellten sich auf wie durch Zauberhand, sie küßte ihren Mann auf den lächelnden Mund, dann setzte sie sich ans Klavier und begann ohne Noten zu spielen.
    Als ihre Finger die ersten Tasten anschlugen, spürte Charles, wie ihm im Nacken das Haar aufstand, und als ihre Hände dann in der dämmrigen Beleuchtung des Wohnzimmers sicherer über die Tasten glitten, ihnen die Melodie entlockten, die einen so wunderbar stimmigen Klang hatte und in der sich so maßlos tief ergreifende Töne aneinanderreihten, die nie zuvor miteinander verknüpft worden waren, schoß Charles das Wasser in die Augen, und er merkte, daß er weinte, während wohlige Schauder seinen Körper durchrannen, als wäre er ein Geschöpf des Meeres, das zum erstenmal den mächtigen Sog von Ebbe und Flut verspürte, ja, als hätte er bisher in einem winzigen, schlammigen, rundum von Land begrenzten Teich in ferner Einsamkeit sein Dasein gefristet, und erführe jetzt zum erstenmal das wahre Wesen seiner Welt, seines eigentlichen Zuhauses, des grenzlosen Meeres mit seiner endlosen Vielfalt von Leben, seinen unermeßlichen Tiefen und Weiten, als erlebte er zum erstenmal das ganze Spektrum seiner Bewegungen, seiner Stürme, seiner Geschöpfe, die Unendlichkeit seines fortdauernden schöpferischen Lebens.
    Ich bin mit Charles zugegen, als die Musik jetzt anschwillt, dem Tosen der Brandung ähnlich, die sich an felsiger Küste bricht. Eine schwermütige Freude, ein herzzerreißendes Gefühl von Weite und eine Leichtigkeit liegen in dieser Musik, der ich nicht nur zuhören möchte, sondern in der ich leben möchte, wie ich in Luft oder im Wasser oder in der Schönheit einer kalten, mondhellen Nacht lebe, wenn ich frei und ungebunden durch die klare Luft trabe, das geschmeidige Spiel meiner Muskeln fühle, das rhythmische Ein und Aus meiner Atemzüge, und dann von hohem Ufer ins mondbeschienene Wasser springe, das klatschend und spritzend über mir zusammenschlägt. Ich stehe jetzt bei Charles und weiche lautlos zurück in den schattigen Flur, um mich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen. Ich muß diese Musik in ihrer ganzen Fülle fühlen,

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