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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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alles so überwältigend, daß er unter dem Vorwand, eine Kanne Kaffee kochen zu wollen, in die Küche hinausging und, den Kopf an die Wand gelehnt, weinte, während seine Finger über die Figuren auf dem Gürtel streichelten, den er über seinem Pyjama umgebunden hatte.
    Am Nachmittag wurde es so kalt, wie es bisher in diesem Winter noch nie gewesen war. Die Fensterscheiben waren mit einer dicken Eisschicht überzogen, so daß es schien, als wäre das Haus unter einen Gletscher gesunken und sie müßten den ganzen Winter darin eingesperrt bleiben. Charles mußte dauernd den kleinen Ofen im Keller nachschüren und den im Eßzimmer auch, und dennoch strich immer wieder ein kalter Luftzug unter einer Tür oder durch eine Fensterritze herein und malte einen Streifen aus weißem Reif auf den Boden oder den Fensterrahmen, so als deutete der Winter mit höhnischem Finger auf die armen Wesen, die da krampfhaft versuchten, sich warmzuhalten.
    Später kam Douglas mit einer in Seidenpapier eingepackten Schachtel für Charles vorbei und wünschte allen fröhliche Weinachten und bewunderte wieder Mrs. Lanphiers Auto, obwohl es unter dem frisch gefallenen Schnee kaum noch zu erkennen war. Charles öffnete sein Päckchen, während Douglas in der Küche eine Tasse heißen Tee trank, um sich aufzuwärmen. In der flachen Schachtel befanden sich mehrere Reihen weißer und grauer Steine, die abgeplattet und angeschlagen aussahen. Lächelnd blickte er Douglas an, jedoch ohne recht zu begreifen, was er da geschenkt bekommen hatte.
    »Das sind indianische Pfeilspitzen«, erklärte Douglas grinsend. »Es ist eine ganze Sammlung. Ich hab’ sie von meinem Onkel in Wisconsin. Sie sind alle echt.«
    Charles wußte nicht recht, was er damit anfangen sollte, doch er sah die Erwartung in Dougs Gesicht und gab seiner Freude über die Sammlung Ausdruck, bis der kleinere Junge vor Wonne strahlte.
    Doug zog die handgeschnitzte fünfundvierziger Automatik aus der Tasche.
    »Schauen Sie mal, Mrs. Stumway, was Charles mir gemacht hat.« Er fuchtelte damit herum, und die alte Frau zog unwillkürlich den Kopf ein. »Sie ist wirklich ganz prima, genau wie eine echte. Du kannst toll schnitzen, Charles.«
    Nachdem Doug wieder in die blauweiße Kälte hinausgewandert war und sie dem Winter die Tür vor der Nase zugeschlagen hatten, bat Claire um einen Whisky, und sie setzten sich wieder ins Wohnzimmer. Der Nachmittag verdunkelte sich, und es wurde immer später, ohne daß Charles sich der verstreichenden Zeit bewußt wurde. Sie hatten kalten Truthahn mit Brot gegessen und Milch dazu getrunken, und jetzt war es schon wieder spät, und er stand in der Küche und machte wieder einen Drink für Claire. Er goß den letzten Tropfen Wein in sein Glas. In diesem Moment schien er zu erwachen, blickte sich in der dämmrigen Küche um, sah die Lampe auf dem Tisch, die zwei leeren Flaschen, die vor ihm standen. Er würde ihr keinen Drink mehr machen können, die Flaschen waren leer, und wer hatte den Rest des Weins getrunken? Gewiß nicht Mrs. Stumway, denn sie hatte nur lächelnd, ihren Schal um die Schultern, bei ihnen gesessen und war jetzt wieder eingeschlafen. Er selbst hatte ihn getrunken. Wie war das geschehen? Er ging ins Wohnzimmer zurück, zwei leere Gläser in den Händen haltend.
    »Sieht aus, als wäre Weihnachten vorbei«, bemerkte er und hielt die Gläser hoch.
    »Ach, du lieber Gott, jetzt noch nicht«, rief Claire. Sie schien echt bekümmert. »Wo ist denn die andere Flasche, die ich gekauft habe?« Sie lehnte sich zurück und überlegte, und Charles sah, wie ihr Gesicht einen Moment lang alt wurde, während ihre ausdrucksvollen Augen sich schlossen. »Ich hab’ sie vergessen«, sagte sie betrübt. »Ich hab’ sie auf den Tisch im Flur gestellt und hab’ mir noch gesagt, daß ich sie bestimmt vergesse, wenn ich sie nicht gleich ins Auto bringe, und nun hab’ ich sie doch vergessen.«
    Einen Moment lang sah sie so niedergeschlagen aus, daß Charles glaubte, sie würde zu weinen anfangen. Er fühlte sich hilflos und täppisch.
    »Nun gut«, meinte sie, während ihr Gesicht sich schon wieder aufhellte, »Whisky gibt’s überall, wenigstens in diesem Jahr. Im letzten Jahr war das eine andere Sache.«
    Sie stand auf, hob ihre Arme über den Kopf und streckte sich wie eine Katze, wobei sie gähnte und sich eine Hand auf den Mund drückte.
    »Na, bist du dabei, alter Junge?«
    Charles war nicht sicher, was sie meinte, doch er nickte grinsend.
    Claire

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