Werwelt 02 - Der Gefangene
schlägt dieser Kerl.« Als er den Ausdruck auf Barrys Gesicht sah, trat er einen Schritt zurück. »Ich wollte Sie nicht wütend machen, Mister, aber Sie haben gefragt, und wie ich schon sagte, ich hab’ ein gutes Gedächtnis.«
»Sie haben mir sehr geholfen«, versicherte Barry, dessen Stimme trocken und erstickt klang.
Er griff in die Tasche, holte eine Fünfdollarnote heraus und reichte sie dem Tankwart, der sie nicht nehmen wollte. Als Barry nicht locker ließ, nahm er sie doch und stopfte sie Barry dann in die Hemdtasche.
»Behalten Sie Ihr Geld lieber. Sie sind wohl hinter dem Kerl her?«
»Genau. Die Frau ist meine Frau.«
»Ha!« sagte der Tankwart und schlug ein paar kurze Haken in die Luft. »Brauchen Sie vielleicht Hilfe?« Er hob eine ölverschmierte, aber imposante Faust.
»Danke, aber damit werde ich schon fertig«, versetzte Barry, und sein verkrampfter Mund entspannte sich zu einem Lächeln.
Doch je weiter der Tag fortschritt, desto unsicherer wurde er in seiner Überzeugung, Renee und das Kind auf eigene Faust ausfindig machen zu können. Eine Seitenstraße nach der anderen fuhr er hinunter und fand keine Spur von ihnen. Gegen zwei Uhr nachmittags hatte er sich auf dem Weg zum Kamm des Sandia Crest zu jener Stelle emporgearbeitet, wo die Straße selbst an der Nordseite wieder abwärts fällt, während der kleine gewundene Ziehweg weiter aufwärts führt zum Kamm. Er wußte, daß es entlang des Gipfelwegs keine Hütten und Unterkünfte gab und glaubte, daß auch am Nordhang keine waren, doch da war er nicht so sicher.
An der Gabelung stieg er aus, um sich die Beine zu vertreten und ging bis zum Aussichtspunkt, wo der Osthang steil abfiel. Von dort aus konnte er über weite Wälder hinweg bis zur Santa Fe Kette sehen, die bläulich schimmernd in der Ferne stand. Wenn ich Flügel hätte, dachte er und wandte sich nach innen, dem Tier zu, das er jetzt jeden Moment in seiner Nähe fühlte.
»Wäre das nichts? Wir verwandeln uns in einen Vogel und inspizieren das alles während eines Fluges?«
Das wäre äußerst riskant, selbst wenn ich es zustande brächte, und ich habe es nie versucht.
»Warum willst du nicht?«
Da braucht uns nur ein Zufallsschuß von irgendeinem Tontaubenschützen zu treffen, und wir sind tot.
»Ach ja, daran hab’ ich gar nicht gedacht.«
Vögel sind leicht verletzliche Wesen, und unsere Leben sind an die Gestalt gebunden, in der wir uns gerade befinden.
»Schon gut.«
Er hatte plötzlich das Gefühl, daß er sich vom Ziel seiner Suche immer weiter entfernte, anstatt sich ihm zu nähern. Kurz entschlossen stieg er wieder in sein stickiges kleines Auto, wendete so hastig, daß Kies und Erde aufspritzten und brauste die lange Straße hinunter, zurück zur US Sechsundsechzig. Am Fuß des Berges zuckelte er ein Stück die Sechsundsechzig entlang, um dann an der Route 10, der einzigen befahrbaren Straße in die Manzanos, nach Süden abzubiegen. Die Straße war geschottert, doch von Schlaglöchern und Querrinnen durchsetzt und im unteren Teil des Canyons sehr staubig. Langsam arbeitete er sich höher, die Bäume, die hier festeres Erdreich fanden, wurden dichter, Föhren, Zedern und Krüppelkiefern begleiteten seinen Weg. Ständig hielt er nach kleinen Seitenwegen Ausschau, obwohl er wußte, daß es noch zu früh war, da Mina ja von ›großen Bäumen‹ gesprochen hatte, doch seine Aufmerksamkeit lohnte sich. In einem Busch am Straßenrand sah er etwas Braunes liegen. Mit kreischenden Bremsen hielt er an, sprang aus dem Wagen und rannte zurück, wobei er dachte, daß es bestimmt nur ein alter Stiefel sei oder ein verdrecktes Hemd, das jemand verloren hatte.
Er riß es aus dem Gebüsch. Bruno, der Teddybär, von Staub überzogen, aber gesund und wohlbehalten. Er drehte den Bären in den Händen und betrachtete ihn von allen Seiten, während er spürte, wie das Tier heraus wollte, um ihn zu beschnüffeln. Er drängte es zurück, sagte ihm, dazu hätten sie jetzt keine Zeit, sie müßten weiter, und rannte zum Wagen, sprang hinein und ließ den Motor an. Einen Moment lang blieb er still sitzen, während das kleine Auto im Leerlauf tuckerte und spuckte. Er hatte ein seltsames Gefühl im Magen, so als müßte er gleich vor großem Publikum auf die Bühne und hätte seinen Text nicht gelernt. Dies war der richtige Weg. Diesen Weg hatten sie genommen. Er war ihnen auf der Spur! Er legte den ersten Gang ein und blieb nochmals einen Moment sitzen. Wohin führte diese Straße?
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