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Werwelt 03 - Der Nachkomme

Werwelt 03 - Der Nachkomme

Titel: Werwelt 03 - Der Nachkomme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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se i ner Kotflügel über die Schlucht zu flattern.
    Der Pfad selbst war schon wunderschön, dachte Barry, während er zwischen Felsbrocken und kleinen Spitztürmen vulkanischen Basalts hindurch dem sanften Hang abwärts folgte. Aus dem Sonnenlicht traten sie in den leuchtenden Abglanz des gigantischen steinernen Segels, das sich auf der anderen Seite über dem Tal blähte. Als sie auf den let z ten Hang vor dem Talboden hinaustraten, blickte Barry zu diesem schroffen Fels mit den langen, gewellten schwarzen Masern hinauf, der gewölbt über dem Tal hing, und spürte, wie alle Unzufriedenheit fortgewaschen wurde und alle Sorgen von ihm abfielen, so daß er sich völlig eins fühlte mit sich selbst. Er hielt an und blieb stehen, Koffer und Korb in den Händen, und blickte zu dem Felsen hinauf. Das Sonnenlicht, das sich für die Nacht aus der Tiefe des Tals zurückgezogen hatte, hinterließ sanfte Schatten über den Weiden, die sich leicht im Abendwind wiegten, und vom Grund des Canyons stiegen Geräusche zu ihm auf: Zuerst hörte er aus weiter Ferne die regelmäßigen Schläge einer Axt, dann ein Lied, dessen Worte hoch und leicht auf der sanften Brise dahintrieben, Worte in einer fremden Sprache, die jedoch unverkennbar von der Freude am L e ben sprachen. Er stand da, die Last seines Gepäcks in Hä n den, und blickte ins Tal hinunter, während er lauschte, und der kühle Wind des nahenden Abends über seine Haut strich. Ein tiefes Sehnen erfüllte ihn plötzlich. Er hätte nicht sagen können, was es war, wonach er sich sehnte. Es war nicht das Dasein des Indianers, das Leben in der Wil d nis, nicht einfach die ans Herz greifende Weltabgeschi e denheit; vielmehr war es e t was, das zusammengesetzt war aus der langen Fahrt, dem Pfad ins Tal hinunter, der Abendsonne, die ihre Farben über den Fels spielen ließ, den schwebenden Klängen, die aus dem Tal aufstiegen. Er lauschte dem Lied, das so klar und heiter war wie eine Hymne, die von einem einzigen Engel gesungen wurde, wie das Lied einer Lerche vor dem Himmelstor.

4
    Z wei Wochen vor Weihnachten legte sich der Wind aus dem Nordosten und der Himmel erblühte in weißen Kumuluswolken vor einem reinen somme r lichen Blau. Bo trat unter die kahlen Bäume hinaus, nur um die Luft in sich einzusaugen. Es war, als wäre wieder der Frühling eing e kehrt in den kleinen Park mit dem Standbild Paul Reveres in der Mitte. Bo, der sich noch schwach auf den Beinen fühlte und so neugeboren wie ein eben ausg e schlüpfter Schmetterling, setzte sich auf eine eiserne Bank und blickte zu den Wolken Armadas auf, die nach No r den davonsege l ten. Die Wolken waren wie Schiffe, dachte er, und gab sich in wohligem Behagen Träumereien von luft i gen Seglern und Matrosen in nebelumwallter Takelung hin. Es ging ihm wieder gut. Nachdem er so lange mit dem Schmerz oder in dessen Erwartung gelebt und beinahe unablässig an die bevorstehende Zerstörung seines Lebens gedacht hatte, genoß es Bo in einer Art stiller Ekstase, in der Sonne sitzen und frische Luft atmen zu können. Der Gedanke an eine Katze kam ihm, die mit untergeschlag e nen Pfoten, den Schwanz um ihren Körper geringelt, in der Sonne hockte. Ein Segen, ja, das ist es, ein Segen, am L e ben zu sein.
    »Du bist wirklich ein folgsamer Patient, Bo«, sagte die vertraute Stimme.
    Er wandte den Blick, der geblendet war vom langen H i naufschauen in den Himmel.
    »Bei dir fällt einem das leicht, Lilly.« Ihr Lächeln war schöner als ein ganzer Monat Sonnenschein. »Setz dich doch, mach dir ’ s bequem«, sagte er und fühlte sich dabei verlegen und recht schüchtern.
    »Ich hab ’ ein Geschenk für dich, eine ganz besondere Überraschung«, erklärte sie, während sie etwas aus ihrer Manteltasche zog. Es war ein wunderschöner roter Apfel, ein Delicious, bei dessen Anblick Bo das Wasser im Mu n de zusammenlief. Er hatte, ging es ihm durch den Kopf, seit mindestens einem Monat nichts Richtiges mehr gege s sen.
    »Du nimmst mich doch nicht auf den Arm? Ich darf ihn wirklich essen, ganz und gar?«
    Lilly lachte und faßte den Apfel am Stiel, um ihn Bo vors Gesicht zu halten.
    »Kann ich dich damit in Versuchung führen, lieber Adam?«
    Sie machte einen Tanzschritt, dann setzte sie sich neben ihn, in der Hand noch immer den Apfel.
    »Und wie«, erklärte er, nahm den Apfel und drehte ihn ein paarmal in den Händen.
    Als er den ersten knackenden, saftigen Biß tat, meinte er, er hätte nie zuvor etwas so Köstliches geschmeckt. Eine

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