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Werwelt 03 - Der Nachkomme

Werwelt 03 - Der Nachkomme

Titel: Werwelt 03 - Der Nachkomme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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sie ein junges Mädchen war, zwei- oder dreiundzwanzig vielleicht erst. Weil er von ihr auf diese Weise bemuttert worden war, war er sich vorgekommen wie ein kleiner Junge, doch er war natürlich wesentlich älter als sie und mußte entspr e chend mehr Erfahrung haben. Sein Lächeln fing an, ein wenig starr zu werden.
    »Also, was meinst du, schauen wir uns dieses Boston einmal an? Ich bin sowieso nicht viel von zu Hause we g gekommen.«
    »Okay, Bo«, gab sie zurück, und ihr Blick war jetzt re i ne Dankbarkeit. »Ich stamme zwar auch nicht von hier, aber ich kann dir ein paar alte Kirchen und Häuser zeigen, und ich kenne ein Lokal, wo es den besten italienischen Salat außerhalb von Neapel gibt.«
    Sie fuhren mit dem Zug nach Boston hinein und mac h ten einen Rundgang durch das North End, sahen sich F a neuil Hall und die Old North Kirche an, deren Bekanntm a chungen am Schwarzen Brett in Italienisch abgefaßt waren, doch danach fühlte Bo sich ziemlich wacklig. Sie fanden das Restaurant, von dem Lilly gesprochen hatte, und sie sagte, er könnte ein Glas Wein trinken und das Antipasto mit dem Knoblauchbrot essen, aber nichts mit Fleischsoße. Es war ein heller, sommerlicher Tag, und vom Meer her wehte ein Lüftchen. Boston hätte tausend Meilen vom Ozean entfernt liegen können. Es war eher wie Vorfrühling als Spätherbst, und die weihnachtlichen Dekorationen wirkten wie komische Anachronismen einer längst versu n kenen Kultur.
    Das Essen wäre hervorragend, sagte Bo, der jeden ei n zelnen Bissen, jeden Schluck als ein kleines Wunder em p fand, da er ein einzigartiges, warmes Behagen in seinem Leib spürte, keinen Schmerz, nicht einmal eine Versti m mung. All das, was er in den vergangenen Monaten durc h gemacht hatte, hätte ein Alptraum gewesen sein können, etwas, das einem anderen geschehen war. Und Lillys U n befangenheit ihm gegenüber ließ ihn ständig wieder ve r gessen, daß sie nicht verlobt oder verheiratet waren. Als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoß, verschluckte er sich an einer Anchovisgräte und mußte sich hinter der gr o ßen Serviette verstecken, die ihm der Kellner um den Hals gebunden hatte.
    Als er das rote Gesicht hob, betrachtete sie ihn mit so l chem Mitgefühl, daß er wieder das Aufwallen seines Blutes spürte. Er griff über den Tisch, um ihre Hand zu streicheln, hielt sie statt dessen jedoch fest.
    »Es ist –« er lispelte »- ist schon gut. Nur eine große Gräte.« Er lachte. »Das sind doch Burschen, die Italiener! Wem käme es schon in den Sinn, einen Salat mit Fisch zu machen?«
    »Hör mal«, fuhr er mit kerniger Fröhlichkeit fort, »der Wein bringt mich richtig auf Touren. Sei nur vorsichtig, mein Kind.«
    Doch er fühlte sich so schwach, daß er sich am liebsten in sein Zimmer hätte zurücktragen lassen. Das viele H e rumlaufen hatte ihn stark ermüdet. Er hatte nicht gewußt, wie sehr ihn der erbitterte Kampf der vergangenen Monate geschwächt hatte. Ja, dachte er, ich hab ’ um mein Leben gekämpft. Er mußte jetzt seine Hose mit einer Sicherheit s nadel zusammenhalten, und die Hemden mußten am Kr a gen mit der Krawatte zusammengezogen werden, sonst sahen sie aus, als gehörten sie seinem großen Bruder. Er hatte an die fünfundzwanzig Kilo abgenommen, und o b wohl Lilly sagte, er sähe so viel besser aus, kam er sich jetzt in seinen eigenen Kleidern eigenartig leicht und fremd vor. Selbst bei seinen Schuhen hatte er das Gefühl, sie s ä ßen lose. Er fand, er sähe wie ein Landstreicher oder wie ein Pennbruder aus.
    »Bo, du siehst wirklich müde aus«, meinte Lilly. »Ne h men wir doch ein Taxi zurück, ja?«
    »Himmel, nein, das geht auf keinen Fall. Das ist doch eine endlose Fahrt. Ein Vermögen würde das kosten.« Er griff nach seiner Brieftasche. »Ich muß an meine Finanzen denken, weißt du.«
    Das war eine dumme Bemerkung, da ja Lilly in den ve r gangenen Wochen fast alles für ihn bezahlt hatte, doch er machte sich Sorgen des Geldes wegen. Gewiß, zu Hause hatte er noch Geld, aber da er im Augenblick nicht arbeit e te, kam auch kein Geld herein, während ständig welches ausgegeben wurde.
    »Klar geht das«, widersprach Lilly und drückte seine Hand. »Ich lade dich ein.«
    »Das tust du doch dauernd, Lilly«, versetzte Bo, und seine Stimme klang ihm in den eigenen Ohren quengelig, wieder wie die eines kleinen Jungen. Er ließ sich nach hi n ten gegen die Lehne seines Stuhls sinken und lächelte sie an. »Du bist wirklich unheimlich lieb zu mir,

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