Werwelt 03 - Der Nachkomme
von ihm, die Zorn nicht zu kennen schien, brachte sie an den Rand des Wahnsinns. Früher hatte er sich wegen der lächerlichsten Kleinigkeiten mit ihr gestritten, und jetzt geriet er nicht einmal mehr in Zorn. Es war so, als wäre er immer noch fort, immer noch bei dieser Frau, die mehr als tausend Meilen entfernt war.
Er sah sie an, und in seinem Blick war eine Traurigkeit, bei der ihr der Atem stockte. Sie mußte sich abwenden.
»Ganz gleich, ob da nun eine andere Frau im Spiel war oder nicht, ich müßte auf jeden Fall von hier fort.«
Sie fühlte ein tiefes Schluchzen in ihrer Brust, das sie nicht herauslassen wollte. Sie würde nicht noch einmal vor ihm weinen. Es gelang ihr zu sagen: »Aber warum denn, George? Warum liebst du mich denn nicht mehr?« Und wieder wollte das Schluchzen hochkommen und hätte sie beinahe erstickt.
»Ich war dem Tod nahe«, antwortete er. »Ich weiß, daß es in diesem letzten Jahr eine Zeit gab, wo ich sterben wollte, und ich glaube, daß das vielleicht der Grund ist, weshalb ich zu Tode krank wurde. Ich glaube, ich wollte mir aus Gram über Charles ’ Unfall das Leben nehmen. Es lag nicht an dir, doch es lag gewiß zum Teil daran, wie wir waren, an unserer Art zu leben. Ich muß mich jetzt einfach ändern.«
»Ich könnte –« Sie hatte sagen wollen, daß sie sich auch ändern könnte, doch es war zuviel für sie. Sie würde diesen Mann um nichts mehr bitten. Sie war eine Cahill von den Virginia Cahills, und sie würde nicht betteln. Sie würde sich nicht bemitleiden lassen. Mit einer scharfen Bewegung drehte sie den Kopf und spürte, wie das tiefe Schluchzen, das in ihrer Brust saß, sich lockerte, und sie wieder atmen konnte. Nie wieder, nein, nein, nie wieder würde sie diesen Mann um etwas bitten.
»Ich hab ’ ja gewußt, daß du stur sein würdest«, sagte sie, und ihre Stimme war jetzt kalt. »Mr. Morrisey hat es auch vorausgesehen. Weißt du, was er über dich gesagt hat, George?« Sie stand in dem kleinen Büro, bereit, ihm einen letzten vernichtenden Schlag beizubringen, um dann zu ihrem Anwalt zu gehen und zu sagen, daß sie mit diesen entsetzlich harten Scheidungsbedingungen und der Unte r haltsregelung, die er vorgeschlagen hatte, einverstanden war. »Er hat gesagt, daß du dich wie ein verschossener Pennäler benimmst.«
Bo blickte seine Frau an und nickte. Er betrachtete ihr Gesicht, das hart war, mit einem gehässigen Zug um den Mund, den er nie an ihr gesehen hatte. Sie drehte sich um und ging durch die Tür in das benachbarte Büro.
Die Bedingungen waren hart, und nur wenig gemildert durch Bud Hopps ’ Entrüstung und die Einfügung von ein, zwei rettenden Klauseln, in denen die zukünftigen Unte r haltszahlungen an die geschädigte Ehefrau etwas herabg e setzt wurden. Bo hörte zu, während sein Anwalt ihm einen Punkt nach dem anderen vorlas. Jede einzelne Anklage, die gegen ihn vorgebracht wurde, jede schneidend tadelnde Wendung verlor ihren Stachel, als sie gegen das Schild se i ner inneren Distanziertheit prallte. Er dachte ständig nur: Wo ist Lilly jetzt? Und Bud las.
»Hast du das mitbekommen, Bo?«
»Entschuldige, was?«
»Sie bekommt außerdem noch alles, was auf dem Spa r konto liegt, und das sind nahezu zweitausend Dollar!«
»Ja, das hab ’ ich gehört.«
»Also wirklich, Bo, ich hätte nie gedacht, daß du vor e i nem Kampf kneifen würdest, aber Mary Louise hat dich glatt k.o. geschlagen, und du machst nicht einmal Ansta l ten, dich wieder hochzurappeln.« Der Anwalt schlug mit dem Bündel langer Dokumente auf seinen Tisch. »Du kannst dein Leben lang an diese Frau zahlen. Ist dir das klar?«
»Ja, natürlich, Bud. Das geht schon in Ordnung.«
Es sind jetzt zwei Wochen vergangen, dachte Bo, seit ich das letzte Mal von ihr gehört habe. Ich muß etwas tun.
»Schön, dann wären wir wohl so weit«, meinte Bud. Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich wieder. »G e hen wir also rein und lassen es über uns ergehen.«
Nachdem die rechtlichen Formalitäten abgewickelt wa r en, sah Bo seine geschiedene Frau nur noch einmal, als er seine Sachen aus dem Haus holte. Möbelstücke oder andere notwendige Dinge wie Bettwäsche oder Handtücher wollte er nicht mitnehmen. Er nahm nur ein paar kleine Sachen von Charles, an denen dieser gehangen hatte, als er noch lebte, und verweilte ein letztes Mal im früheren Zimmer des Jungen, so wie er das beinahe jeden Abend vor dem Zubettgehen getan hatte. Er erinnerte sich daran, wie er das
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