Werwolfkind (German Edition)
hierbleiben, Professor, und was haben Sie sich vorgestellt, gegen den Fluch anzugehen?«
»Ich bleibe, so lange Sie mich benötigen, oder bis er hier nichts mehr für mich zu tun gibt, Marchese«, sprach der Professor ernst. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung. – Ich muss allerdings eingestehen, dass ich auf Anhieb nicht weiß, wie wir der Metamorphose zum Werwolf, die bei Ihnen wieder stattfindet, Marchese, Einhalt gebieten sollen.«
Sein Gesicht wurde noch ernster, als er Francesca anschaute.
»Kann ich… äh, offen sprechen?«
»Ich bitte darum.«
»Ich… äh, ich fürchte…« Cascia fiel es schwer, die folgenden Worte über die Lippen zu bringen. »Dass der Marchese schlimmer zum Werwolf wird als jemals zuvor.«
»Ich habe meine Diät mit dem Kräutersud und dem fleischlosen Essen an den ungeraden Tagen des Monats wieder aufgenommen.«
»Das allein wird nicht ausreichen, Marchese. Sie sagten mir, dass es Blutdurst und Mordgier bei Ihnen erweckte, als Sie den Mafia-Gangster in den Hals gebissen haben?«
Das hatte Ricardo schon am Telefon erwähnt und zuvor geschildert, als er ausführlich erzählte, wie es ihm in der letzten Zeit ergangen und was in der letzten Nacht passiert war. Francesca hatte mit Betrübnis und Entsetzen von den Seelenqualen ihres Gatten gehört. Sie hatte ihn schon früher an diesem sorgenbeladenen Tag gefragt, weshalb er sich ihr nicht eher anvertraute.
»Ich wollte dich nicht belasten und in Angst versetzen«, hatte er ihr geantwortet. »Ich wollte allein damit fertig werden.«
Da hatte sie ihm übers Haar gestrichen und ihn daran erinnert, was sie sich bei der Eheschließung gelobt hatten. Nämlich immer füreinander da zu sein, in guten wie in schlechten Tagen.
»Bis dass der Tod uns scheidet.«
Das sagte Francesca jetzt wieder.
Ricardo schaute sie tief betrübt an und antwortete: »Ja, bis der Tod uns scheidet. Vielleicht gar ein Tod, den ich mit meiner Lykanthropie verursachte. Dass ich… dass ich…«
Er konnte nicht weitersprechen. Francesca stand auf von dem langen Tisch, stellte sich zu ihrem Gatten und barg seinen Kopf an ihrer Brust. Sie trug ein dezent ausgeschnittenes Abendkleid. Der Marchese hatte dem Anlass entsprechend einen dunkelroten Samtanzug gewählt, was bei einem anderen effeminiert gewirkt hätte.
»Du wirst mich nie, nie, nie als ein Werwolf zerreißen«, sagte sie überzeugt. »Das tatest du in der Nacht nicht, als der silberne Degen zwischen uns lag und du den Werwolftrieb überwandest. Das wirst du niemals tun. – Ich liebe dich, ich will nie von dir lassen. – Ich vertraue dir.«
»Was ist mit Marco?«, fragte Ricardo dumpf. »Was ist mit unserem Kind? Er hat den Fluch leider von mir geerbt, das Verhängnis der di Lampedusas.«
»Es wird einen Weg geben«, antwortete Francesca ihm überzeugt.
Sie war in dem Moment die Stärkere. Sie wuchs über sich hinaus. 21 Jahre erst, bot sie ihrem älteren Gatten Halt und vermittelte ihm Zuversicht. Professor Cascia trank von seinem Rotwein.
Er war sich da nicht so sicher wie Francesca, was die Lykanthropie betraf. Doch das sagte er nicht. Er gähnte.
»Genug jetzt der Reden. Ich will zu Bett gehen und mich ausruhen. Ich hatte einen langen und harten Tag. Morgen fange ich mit dem Studium meiner Bücher und derer der Schlossbibliothek an.«
Er stand auf, zögerte und sagte: »Vielleicht wäre es am Besten, wenn Sie sich für eine Weile von Ihrer Familie trennen und an einen anderen Ort begeben würden, Marchese. Nur zu der Sicherheit – der Marchesa und auch der Ihren. Denn Sie wollen ihr ja nichts antun. Mit dieser Schuld könnten Sie niemals leben. Und – es sind ja auch noch andere hier im Schloss. – Der kleine Marco dürfte leichter von der Lykanthropie zu heilen sein als Sie, der sie schon seit vielen Jahren hat. – Und bei einem Rückfall, einem abermaligen Ausbrechen, wird der Verlauf niemals milder.«
Ricardo nickte und wollte antworten: »Wenn Sie meinen, Professor.«
Francesca kam ihm zuvor. Sie ergriff seine Hand und drückte sie.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ricardo bleibt hier, mit mir zusammen. Er ist mein Mann, wo er hingeht, gehe ich auch hin. Und wo er ist, da will ich sein.«
Sie sagte die altrömische Hochzeitsformel: »UBI TU GAIUS EGO GAIA.«
Es war schlecht wörtlich zu übersetzen und bedeutete sinngemäß: »Wo du Gaius bist, bin ich Gaia.« Gaius und Gaia als im alten Rom gebräuchliche Namen bezeichneten Mann und Frau. Die Formel bezog sich auf die
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