Werwolfkind (German Edition)
in ein Internierungslager gesteckt worden, wo er kurz darauf ermordet wurde.«
»Er war doch ein Werwolf. Hätte er sich nicht in den Bergen verstecken können?«
»Das tat er. Doch die Faschisten drohten, es seine Angehörigen entgelten zu lassen, wenn er sich nicht stellen würde. Dem konnte er nicht widerstehen. Sie wollten ihn dann in ihre Dienste pressen, wie du schon weißt. Als er sich weigerte, haben sie ihn umgebracht.«
»Dein Vater…«
»War damals elf Jahre alt. Man beobachtete ihn scharf. Aber so genau wussten die Faschisten über den Fluch der Lampedusas nicht Bescheid, dass ihnen das mit dem ersten Sohn bekannt gewesen wäre. Treue Bedienstete und seine Mutter hielten das Geheimnis meines Vaters unter Verschluss. Sie sorgten dafür, dass niemand den Jungen in den Vollmondnächten zu Gesicht bekam. Bei Tageslicht sind wir ja keine Werwölfe.«
Francesca hatte ihren um einen halben Kopf größeren Gatten geküsst und gesagt: »Du bist jetzt keiner mehr. Der Fluch ist gebrochen. Das düstere Geheimnis der Lampedusas gehört der Vergangenheit an.«
Das Gespräch lag anderthalb Jahre zurück. Jetzt sah es anders aus.
Der Marchese erschien, er kam die Treppe herunter und begrüßte Professor Cascia zurückhaltender, als seine Frau es getan hatte. Er war enttäuscht und verärgert, hatte er sich doch darauf verlassen, dass ihn Cascias Degenritual geheilt hätte. Die im Schloss wohnenden Hausangestellten ließen sich nicht blicken, die alte Filomena hatte sich wieder entfernt.
Marchese Ricardo ergriff Professor Cascias Koffer, als ob sie federleicht seien.
»Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer. Es ist dasselbe wie damals, in jener Nacht, als Benito mit seiner Meute ins Schloss eindrang.«
Das war 22 Monate her.
Professor Cascia sagte heftig, als sie die Treppe hinaufstiegen: »Sie hätten den Geheimgang damals schon zumauern sollen, Marchese. Durch diesen sind die Werwölfe in jener Schreckensnacht ins Schloss eingedrungen.«
»Das weiß ich jetzt auch. Wer sollte denn ahnen, dass noch andere davon erfahren? Zwei Werwölfe sind damals gestorben. Benito und seine Gefährtin haben wir seitdem eingekerkert. Mit Adolfo sprach ich jetzt ein ernstes Wort. Und den Geheimgang habe ich eigenhändig und unverzüglich zugemauert. Dort wird keiner mehr eindringen.«
»Daran haben Sie gut getan.«
Später, nach dem Abendessen, das der Professor genossen hatte, saß man im Ahnensaal. Von den Wänden blickten Vorfahren des Marchese in Öl gemalt herab. Die letzten fünf Generationen davon waren Werwölfe gewesen, und jeder hatte sein Schicksal gehabt.
Marco lag bereits im Bett und war eingeschlafen, nachdem ihm Francesca ein Schlaflied gesungen hatte. Der Professor lobte das gute Abendessen, das die alte Filomena und die beiden Dienstmädchen Claudia und Rosa zubereitet hatten.
Claudia und Rosa waren Waise. Sie wussten nicht, wo sie hingesollt hätten, wenn sie das Schloss Lampedusa verlassen hätten. Was den Werwolf und das Gerede der Dorfbewohner von San Clemente betraf, verschlossen sie Augen und Ohren. Das des Öfteren des nachts aus den tiefen Kellergewölben dringende Wolfsgeheul ignorierten sie.
Ricardo und Francesca hatten sich mehrfach überlegt, wie es abzustellen sei. Es war so durchdringend, dass es sogar durch die dicksten Mauern drang. Letztendlich waren sie zu dem Ergebnis gelangt, es ließe sich nicht unterbinden. Und hatten gemeint, es sei nur im Schlosshof und bei offenen Fenstern im Schloss zu hören.
Außerhalb der Mauern würde es keiner vernehmen, zumal sich niemand aus der Umgebung bei Nacht, besonders bei Vollmond, in die Nähe des Castellos wagen würde. Das war ein Trugschluss gewesen, wie sich herausgestellt hatte.
»Vor allem müssen wir Marco vor dem Werwolfluch bewahren«, sagte Professor Cascia und tätschelte Francescas Hand. Er war seit jener Schreckensnacht, als Benito mit seiner Meute ins Schloss eindrang und seinen Halbbruder und Francesca umbringen wollte, nicht mehr hier gewesen. »Ricardo muss natürlich ebenfalls gerettet werden.«
»Das sagen Sie so einfach, Professor«, bemerkte der Marchese. »Einmal hat Ihre Wissenschaft bereits versagt.«
Cascia fühlte sich in seiner Ehre als Experte für Lykanthropie getroffen.
»Fast zwei Jahre Aufschub hat Ihnen das Ritual ja verschafft, Marchese. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Sie hatten zwei glückliche, schöne und unbeschwerte Jahre.«
»Ich hätte gerne noch mehr. Wie soll es weitergehen? Wie lange können Sie
Weitere Kostenlose Bücher