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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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mich mit jeder Menge Fragen. Sie wollte nicht etwa wissen, wie mir die Klassenfahrt gefiel, sondern sich nur vergewissern, ob ich auch schön vorsichtig war. Nachdem ich ihr mehrfach versichert hatte, dass ich hier bestenfalls an Langeweile sterben könnte, beendeten wir das Gespräch.
    Nach dem Abendessen verzog ich mich wieder in Dads Arbeitszimmer und durchstöberte seine Bücher und Aufzeichnungen, wobei ich immer wieder nach dem Buch griff, das Drizzle entdeckt hatte, und minutenlang die Zeichnung des Geistwandlers anstarrte.
    Der Kobold saß auf der Fensterbank, nippte an dem Schnapsglas, das ich auf sein Drängen mit Whisky gefüllt hatte, und blickte gedankenverloren nach draußen. Vor einer Weile war es dunkel geworden und der Mondschein tauchte die Landschaft draußen in ein fahles Licht.
    Frustriert schob ich das Buch wieder ins Regal. Wenn man wusste, wonach man suchen musste– oder einen Kobold hatte, der den Zauber durchschauen und einem die getarnten Bücher zeigen konnte–, fanden sich in Dads Regalen unzählige Informationen über das Jenseits. Nur keine darüber, warum er nicht hier war. »D rizzle, kannst du nicht noch mal nachsehen?« Dad hatte früher Tagebuch geschrieben, eine Angewohnheit, die er meines Wissens nicht aufgegeben hatte. Aber bisher hatte ich keines seiner Tagebücher gefunden. Ich ging davon aus, dass er darin auch Dinge über das Jenseits festhielt, also hatte er sie vermutlich ebenfalls magisch verborgen. Wenn der Kobold sie finden könnte…
    »D ie Regale haben wir durch«, sagte er gähnend. »H ast du schon nach einem Geheimfach gesucht?«
    Daran hatten Derek und ich natürlich auch gedacht, aber nichts gefunden. »V ielleicht ist es mit Magie verborgen?«
    »I ch verstehe. Dafür braucht es Drizzle Ebb, den Dritten, der dir sagt, was du tun musst.«
    »S ieht ganz danach aus. Was muss ich also tun, Meister Drizzle?«
    Der Kobold blickte mal wieder drein, als hätte ich die dümmste aller Fragen gestellt. »S treich mit der flachen Hand über die Stellen, die du absuchen willst.« Er zwinkerte anzüglich. »S ei zärtlich wie zu einem Geliebten, Babe. Und achte darauf, wann es sich komisch anfühlt– sollte man bei einem Geliebten auch hin und wieder tun.«
    Das klang nicht besonders hilfreich, und ich bezweifelte, dass sich Magie auf diese Weise aufspüren ließ. Trotzdem streckte ich die Hand aus und folgte Drizzles Anweisung. An einer Stelle des Schreibtischs, an der Seite des Schubladenteils, glaubte ich tatsächlich etwas zu spüren. Um sicherzugehen, fuhr ich noch einmal mit der Hand darüber. Die Luft schien elektrisch aufgeladen und mein Nacken fühlte sich plötzlich an, als würden unzählige Spinnenbeine darauf tanzen. »I ch glaube, da ist etwas.«
    »M ach es auf.«
    Ich ließ meine Finger über das Holz gleiten. Erst fand ich nichts, und ich fürchtete schon, dass der Öffnungsmechanismus vor mir verborgen bleiben würde, als ich eine Unebenheit ertastete. Ich drückte dagegen, es klickte leise und eine Art Schublade sprang einen halben Zentimeter heraus. »I ch habe es! Komm her, sehen wir nach, was wir gefunden haben!«
    Der Kobold nahm einen weiteren Schluck Whisky, bevor er das Glas zur Seite stellte und aufstand. Er rülpste lautstark und streckte sich. Dabei erregte etwas vor dem Fenster seine Aufmerksamkeit. Er fuhr herum und drückte sich das Gesicht an der Scheibe platt. »H aariger Dämonenarsch! Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut.«
    Ich kniete bereits vor dem Schreibtisch, um mir das Fach anzusehen. Drizzles Worte– und noch mehr sein Tonfall– alarmierten mich. Ich sprang auf die Beine. Auf dem Weg zum Fenster knipste ich das Licht aus, um besser erkennen zu können, was draußen vor sich ging. Halb rechnete ich damit, meinen Verfolger aus dem Supermarkt auf dem Hof zu sehen, doch was ich sah war… gar nichts. Der Hof war verlassen.
    »I ch sehe nur Schatten.«
    »G enau.«
    »S chatten?«
    »S o heißen sie in eurer Welt, ihren wahren Namen könntest du gar nicht aussprechen.«
    Ich kniff die Augen zusammen und ließ meinen Blick über den Hof gleiten. Nachdem ich jetzt wusste, wonach ich Ausschau halten musste, fiel es mir leichter, zu erkennen, was Drizzle meinte. Der Schatten war auf dem Hügel, der das Haus von der Straße abschirmte. Er schien eine Hand breit über dem Boden zu schweben und bewegte sich langsam den Abhang herunter. Seine Umrisse waren vage menschlich. Als hätte sich ein Mann eine dunkle Kutte mit Kapuze

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