Westwind aus Kasachstan
Weberowsky gegenüber. Es klopfte an der Tür. Der Adjutant trat ein. Was brachte er auf einem Tablett mit zwei Gläsern? Natürlich chinesisches Bier.
»Sie haben recht«, sagte Wechajew. »Es ist Professor Frantzenow. Aber Sie können ihn auch von Fotos her kennen!« Sie gossen das Bier in die Gläser und tranken. Weberowsky trank sein Glas in einem Zug leer, so durstig war er und so ausgetrocknet. »Ich habe mir gedacht, jetzt machen wir es umgekehrt. Wenn Andrej Valentinowitsch das Schwimmbad verläßt, kommen Sie ihm entgegen. Wenn er Sie sieht, erkennt und Ihnen um den Hals fällt, glaube ich Ihnen. Geht er an Ihnen achtlos vorbei –«
»Ich weiß.« Weberowsky lächelte sauer. »Semipalatinsk. Aber auch ich habe mich in den neun Jahren verändert.«
»Ihr Gesicht vergißt so schnell niemand, am wenigsten ein Verwandter. Warten wir ab. Ich bekomme sofort Meldung, wenn Professor Frantzenow das Bad verläßt. Dann marschieren wir los.«
Sie hatten das chinesische Bier noch nicht ausgetrunken, als das Telefon läutete. Wechajew hob ab, sagte knapp: »Danke!« und wandte sich Weberowsky zu. »Er ist unterwegs. Gehen Sie ihm allein entgegen, aber glauben Sie nicht, Sie würden nicht scharf beobachtet. Kommen Sie.«
Vor der Kommandantur wartete wieder der Jeep. General Wechajew begleitete Weberowsky bis an die Straße, die zum Schwimmbad führte, ließ ihn dort aussteigen und nickte ihm zu.
Gott gebe, daß mich Andrej erkennt, dachte Weberowsky. Er setzte sich in Bewegung, ging langsamen Schrittes mitten auf der Straße seinem Schwager entgegen, und je näher sie sich kamen, um so heftiger klopfte sein Herz und wurden seine Beine schwerer.
Geh nicht an mir vorbei, flehte er innerlich. Andrej, du mußt mich doch erkennen. Warum hältst du den Kopf gesenkt, sieh mich doch an, ich bin's, Wolfgang Antonowitsch, der Mann deiner Schwester Erna. Andrej –
Drei Meter waren sie voneinander entfernt, als Frantzenow den Blick hob und Weberowsky ansah. Mit einem Ruck blieb er stehen, schüttelte den Kopf, als wolle er ein Traumbild verjagen, aber der Mann vor ihm war Wirklichkeit und lächelte ihn an, und er sah aus wie Wolfgang, nur etwas dicker und grauer geworden, aber dieses von der Sonne gegerbte Gesicht war unverkennbar, so ein Gesicht gab es nicht zweimal, es war –
»Wolfgang!« rief Frantzenow und breitete die Arme aus. »Schwager! Du hast es geschafft, hierherzukommen?!«
Sie rannten aufeinander zu, umarmten sich, küßten sich auf die Wangen, und sie bissen die Zähne zusammen, als sie spürten, wie ihre Augen naß wurden und ein Schluchzen im Hals hochstieg.
»Ich hatte nie geglaubt, dich je wiederzusehen«, sagte Frantzenow mit unsicherer Stimme.
Und Weberowsky antwortete: »Auch wir haben gesagt: Andrej Valentinowitsch ist verschollen. Oder er ist zu stolz geworden, um mit einem einfachen Bauern zu reden.«
»Das habt ihr mir zugetraut?«
»Wie oft hat Erna an dich geschrieben, und nie hast du geantwortet. Jetzt wissen wir, warum. Du warst für alle tot, begraben in Moskau. Darüber müssen wir noch sprechen, Andrej.«
»Komm mit in meine Wohnung. Weißt du schon, wo du schläfst?«
»Ich bin vor einer Stunde angekommen.«
»Natürlich wohnst du bei mir. Ich werde sofort die Verwaltung informieren.«
Sie faßten sich unter und gingen die Straße hinunter und kamen auch an dem Jeep vorbei, in dem General Wechajew saß. Frantzenow stieß Weberowsky an.
»Siehst du den Jeep da drüben?«
»Ja.«
»General Wechajew sitzt darin. Der Kommandant der Truppen in und um Kirenskija. Ich kenne ihn nur von einigen Herrenabenden her, damals war er aber noch nicht Kommandant. Starr nicht zu ihm hinüber, es ist besser, nichts mit ihm zu tun zu haben.«
Weberowsky schwieg. Es ist besser, dachte er, Andrej erfährt nichts davon, was am heutigen Tag alles geschehen ist. Man kann das später erzählen.
»Ist dieser General ein so grausamer Mensch?«
»Grausam? Nein!« Frantzenow zog seinen Schwager weiter. »Aber es ist immer besser, mit dem Militär nichts zu tun zu haben.«
»Das sagst du?!« Weberowsky blieb stehen. »Du hast dein ganzes Leben lang für das Militär gearbeitet. Du hast mitgeholfen, daß immer schrecklichere Atombomben konstruiert werden konnten.«
»Ich bin Nuklearforscher, Wolfgang. Die Atomforschung beschränkt sich nicht allein auf Atomsprengköpfe. Sie umfaßt unser tägliches Leben, sie hat das Leben verändert und wird das Leben noch mehr verändern. Ohne Atomenergie wird es in
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