Wetterleuchten
Eddie öffnete den Kasten. »Kommt her«, forderte er sie auf. »Ihr seid doch alle so scharf drauf zu sehen, was ich da drin habe. Ihr wollt doch euer Bergungsgut. Hier ist es.«
Er stellte den Kasten auf den Kopf. Was herausgepurzelt kam, war das Fell einer sehr kleinen Robbe: ein Fell, komplett von Kopf bis Fuß, fast wie ein Kostüm - es war perfekt und perfekt erhalten.
»Was ist das denn ... ?« Jenn war die Einzige, die sprach.
Ivar sagte nichts, aber sein Gesicht war kreideweiß.
»Das hat in jener Nacht am Strand gelegen, ihr Trottel«, erklärte Eddie. »Das ist das Baby, von dem Sharla geredet hat. Kapiert ihr das jetzt endlich? Das ist das verdammte Baby, das sie ausgestopft hat und wie eine Bekloppte herumgetragen hat, bis ich es ihr weggenommen habe.«
»Was soll das heißen?«, wollte Jenn wissen. »Wollen Sie damit sagen, dass Sharla irgendeine Robbe gehäutet hat wie ... wie die Robben, die man in Neufundland totknüppelt?«
»Natürlich nicht. Da war keine dämliche Robbe. Da war überhaupt nichts. Da war nur das hier, und es war mit Öl verschmiert, und ich Trottel dachte, ich könnte es saubermachen und vielleicht für ein paar Dollar verkaufen, aber was macht Sharla? Sie trägt es herum wie ein Haustier, als wäre es ein Kind, Herrgott noch mal, wie ein Baby in einer Decke, bis ich es ihr schließlich weggenommen und über Bord geworfen habe.«
Aber da war noch viel mehr, und Becca hörte es alles. Sharla sag te... immer merkwürdiger... jemand ist da draußen und wir finden ... hätte sie erschießen sollen , als ich es konnte ... Dad hat es mir gesagt, und ich erinnere mich ... meine Frau und nicht deine niemals ... ich habe ihr das angetan ... ihnen beiden und jetzt ... All diese Gedanken schwirrten durch die Luft und lagen im Wettstreit miteinander. Sie verrieten Becca, dass sie der Wahrheit immer näher kamen, ihr aber noch nicht ganz auf den Grund gekommen waren, und im Moment glaubte keiner keinem. Aber sie hatten sich alle Eddie genähert. Sie konnte es wagen, ihn zu berühren, wenn er sich ein wenig beruhigte.
Sie fragte: »Kann ich es mir ansehen? Warum wollen Sie es verbrennen?«
»Weil es mein ganzes Leben lang wie ein Fluch auf mir gelastet hat.« Der Mann strahlte Gewalt aus, aber Becca trat einen Schritt näher an ihn heran und stellte sich neben ihn, während Ivar und Jenn das Robbenfell auf dem Boden betrachteten.
Sie legte Eddie die Hand auf den Arm. Sie spürte seine Muskeln, gespannt wie Drahtseile. Sie spürte, wie von Schuldgefühlen ausgelöster verzweifelter Wahnsinn von ihm ausging, während sie gleichzeitig nur für einen kurzen Augenblick ein kleines Kind am Strand sah, das genau dieses Robbenfell in seinen Händen hielt. Das Kind rieb sich ununterbrochen daran, als wäre es das Einzige, das ihm Trost spenden könnte.
Sie sagte: »Nein. Das Baby war da. Sharla hat nicht gelogen.«
Eddie riss sich wütend von ihr los. »Du bist genauso durchgeknallt wie sie.«
»In jener Nacht am Strand. In der Nacht, als das Öl auslief. Da war ein Baby am Strand.«
»Oh, du weißt nicht...«
Jenn gab einen Laut von sich, der wie eine Mischung aus Katzenjaulen und einem verängstigten Aufschrei klang. »Der zeitliche Ablauf«, sagte sie, als sie sie ansahen. »Der zeitliche Ablauf ist falsch.«
»Was für ein zeitlicher Ablauf?«, fragte Ivar.
»Mein Dad hat gesagt... Es ist das Boot, Becca. Es ist das Boot auf dem Meeresgrund.«
»Du redest nur Unsinn, Mädchen«, gab Eddie höhnisch zurück.
»Woher haben Sie das Boot?«, wollte Jenn wissen. »Wie haben Sie das Boot bekommen? Mein Dad hat gesagt, Sie hätten es einfach ... Sie hätten es eines Tages plötzlich gehabt, um damit Sportfischer rauszufahren. Aber er hat mir nie gesagt, wie Sie das Boot bekommen haben, weil er es nicht wusste. Aber Boote kosten Tausende von Dollar und vor der Ölpest hatten Sie nie ein Boot. Sie hatten nie genug Geld für ein Boot. Warum hätten Sie sonst in dem Wohnwagen gelebt? Und wo kam das Boot her? Wie haben Sie es bekommen?«
»Nera«, sagte Becca. Alles fügte sich sauber zu einem Ganzen zusammen. »Nera weiß es, stimmt’s? Und deshalb muss Nera sterben.«
»Diese verdammte Robbe«, war Eddies Antwort. Er warf die Axt beiseite und trat den Kasten aus dem Weg. Das Robbenfell rührte er nicht an.
Kapitel 43
D as hat sie die ganze Zeit gewollt. Sie wollte dieses Fell. Deshalb war sie beim Boot. Und das ist auch der Grund, warum sie jedes Jahr nach Whidbey Island
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