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Whisper (German Edition)

Whisper (German Edition)

Titel: Whisper (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Kien
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sondern auch gesehen. Whisper war wieder bei ihr, anders bei ihr, aber doch. Sie konnte sie sehen, spüren, streicheln, ihren Duft einatmen. Und nur ihr Blick reichte, um zu zeigen, wer wirklich in dem Körper steckte. Gab es sowas? Oder dichtete sie sich irgendwas zurecht? Wurde sie gaga? Ich bin immer bei dir. Wenn du mich rufst, wirst du spüren, dass ich da bin. Ich werde dir helfen, so gut ich kann.
    Jasmin strich ganz sanft über Toms Hals.
    „Whisper“, flüsterte sie leise. „Whisper ich finde hier nicht raus. Judith braucht dringend Hilfe, und ich habe Angst den Weg nicht mehr zu finden. Judith könnte sterben. Whisper …“
    Sie schalt sich insgeheim einen Dummkopf. Wie mochte das wohl für andere aussehen? Sie stand bei einem Pferd, strich über seinen Hals und rief nach einem Geisterwesen. Es gab Menschen, die würden sie an dieser Stelle in eine Zwangsjacke stecken. Vorsichtig sah sich Jasmin um und hatte fast Angst, jemand könnte ihr schwaches Flüstern mitbekommen haben. Aber die Kids saßen bei Judith am Bach, unterhielten sich, warfen Steine ins Wasser und beachteten sie nicht. Ihre Augen wanderten weiter, suchten zwischen den Bäumen. Wie schön wäre es, wenn Kino auf einmal irgendwo auftauchen würde. So, wie er aufgetaucht war, als sie, nach dem Gespräch mit Judith über das Kitz, in den Wald gelaufen war. Aber dort tauchte niemand auf. Kein Pferd, kein Kino, keine Raben, an deren Anwesenheit sie sich doch sehr gewöhnt hatte, und auch kein Geisterpferd.
    Okay, sie würde ihren Weg schon finden.
    „Du zweifelst, Jasmin!“
    Das Mädchen zuckte heftig zusammen, sah auf.
    „Zweifel verdunkelt deine Instinkte. Du vertraust dir nicht. Du hast in der Nacht vertraut. Tu es auch jetzt. Du wirst spüren, dass ich da bin.
    Ja, sie spürte es. Whisper war da, ganz nah bei ihr. Aber sie konnte vor ihrem inneren Auge nicht die schwarze Rappstute sehen, sondern sie bemerkte das Schimmern des Palominos. Das goldene Fell und das strahlend weiße Langhaar. Als Tom sich plötzlich bewegte, den Kopf hob und sanft, nur ganz sanft blubberte, sah Jasmin erschrocken auf. Wieder ließ sie ihren Blick durch die Bäume streichen, dachte an den Grizzly, an die Wilderer, an alles Mögliche, bis ihr Blick an den Büschen, dort wo der Wald einen Hügel bildete, hängen blieb. Es war kein Trugbild, keine Halluzination. Sie hatte dieses Pferd bereits berührt, gerochen, ihren Atem vernommen. Sie stand dort, nickte mit dem Kopf und ließ die weiße Mähne leuchten. Auch diesmal schimmerte ihr Fell golden und automatisch dachte Jasmin an ihren Namen, den man ihr zu Recht gegeben hatte. Mystery.
    Jasmin sah kurz zur Gruppe hinüber, die aber keinerlei Interesse an ihr hatten, ließ Tom stehen und lief auf die Stute zu. Erst kurz vor ihr verlangsamte sie das Tempo, blickte dem Tier in die Augen und studierte, ob es eine Fluchtreaktion geben könnte. Aber die Stute dachte nicht an Flucht.
    Langsam kam Jasmin zu ihr, berührte sanft ihren Nasenrücken und strich hinauf, bis ihre Hand unter dem Schopf zu liegen kam.
    „Whisper!“, flüsterte sie leise und diesmal war es ein Lächeln, welches ihre Lippen umspielte. Sie küsste das Tier auf die Stirn, schmiegte ihre Wange an ihr und ließ ihre Hände weiter unter die Mähne gleiten. Die Stute ließ den Kopf sinken und genoss die Behandlung mit einem Aufseufzen. Jasmin wusste genau, was dieses Aufseufzen zu bedeuten hatte, trat neben den Körper des Tieres und ließ die Finger durch das Mähnenhaar gleiten.
    „Ich wollte nicht zweifeln“, flüsterte sie so leise, dass es schon fast mehr ein Gedanke war. „Ich habe Angst, und ich mache mir Sorgen um Judith. Ich glaube fest an dich, Whisper, und wenn die anderen merken, dass …“ Sie hielt inne. Versteckte sie sich vor den anderen. War es ihr so wichtig, was die anderen dachten?
    „Ich will es den anderen recht machen“, gestand sie in derselben Lautstärke, „weil es Dinge wie dich nicht geben kann und weil sie es nie glauben werden. Sie hören weder deine Stimme noch fühlen sie, was ich für dich empfinde, noch können sie die Raben mit meinen Augen sehen oder den Grizzly einschätzen, weil sie es nicht verstehen.“
    Hatte sie damit unrecht? Gab es das, was gerade passierte? Nein, für das normale menschliche Denken gab es das nicht. Man bezeichnete es als Hirngespinste und Wunschträume. Sprachen Menschen von Erscheinungen, konnte es wirklich mächtige Einbildung oder die Ausuferung irgendeiner Psychose sein. Die

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