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Whisper (German Edition)

Whisper (German Edition)

Titel: Whisper (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Kien
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dringende Gefühl, die Gruppe mit schützen zu müssen, Angst bereitete.
    Christina hingegen war in sich gesunken. Sie hatte in Judith eine Freundin gesehen, die genauso im Ellbogenstoßsystem durchs Leben geschossen war, wie sie. Ohne Rücksicht auf Verluste. Jetzt waren sie beide auf die Hilfe anderer angewiesen. Ihre Freundin noch weit mehr als sie selbst und ihr wurde klar, dass sie diese Hilfe von jemandem bekamen, von dem sie es am wenigsten erwartet hatten. Christina hatte Angst um ihre Freundin, Angst hier in der Wildnis zurückzubleiben und Angst, Judith beim Sterben zusehen zu müssen. Ihre Gehässigkeit, eine Eigenschaft, mit der sie überall weitergekommen war, half ihr jetzt nicht mehr. Eine Erkenntnis, die sie bitter traf.
    Jasmin beobachtete die Gruppe nur am Rand. Sie gehörte nicht wirklich dazu, war von Anfang an abgewiesen worden. Der Grund, sie brauchte nur in den Spiegel zu sehen. Die Entschuldigungen. Was musste es Patrick und auch Christina gekostet haben, zu ihr zu kommen und ´Es tut mir leid´, auch wirklich auszusprechen. Es gehörte viel Mut und Courage dazu, einen Fehler einzugestehen und es auch zu sagen. Judith. Auch Judith hatte sich entschuldigt. Junge Leute, die mit Härte durchs Leben gegangen waren, aber diese Worte gefunden und auch rausgelassen hatten. Wie oft hätte sie solche Worte gerne von Menschen gehört, die eine weit einfachere Vergangenheit hatten, die nicht an ihrem Schicksal herumkauten. Aber genau da kamen sie nicht. Lag es jetzt in der Natur der Sache, dass man jetzt nett zueinander war? Dass man sich zusammenschloss und versuchte, die Situation gemeinsam zu meistern? Was dann? Was würde später sein, wenn alles wieder vorbei war? Diese Gruppe begann sie vielleicht jetzt zu akzeptieren, sie mit anderen Augen zu sehen. Langsam war sie für die Kids kein Zombie mehr, kein entstellter Alien. Aber das war diese Gruppe. Jasmin machte sich nichts vor. Es würde weitergehen, man würde sie wieder beiseiteschieben, wegstoßen, übersehen und sie anglotzen … nicht jetzt, vielleicht auch nicht mehr von diesen Menschen. Es würden andere kommen, spätestens dann, wenn sie wieder zurück war, in München, dort, wo sie eigentlich zuhause war. Es würde sich nicht viel ändern, denn das, was sie erlebt hatte, sah man ihr nur allzu deutlich an. Sie konnte sich einreden, gleich wie alle anderen zu sein. Sie konnte sich vornehmen, die Glotzer Glotzer sein zu lassen. Es sollte ihr egal sein. War es aber nicht. Jeder Blick, jede ungestellte Frage, jedes Stirnrunzeln, jedes Wegdrehen, tat weh, und das würde sich nie ändern. Jetzt, hier, in diesem Moment, änderte sich vieles. Aber in München würde alles so sein, wie sie es zurückgelassen hatte. Und ihr graute vor dem Gedanken, das wieder erleben zu müssen, dem sie hier erfolgreich entflohen war.
    Judith stöhnte leicht, weswegen Jasmin kurz zu ihr sah. Das Blau auf ihren Lippen war wieder verschwunden und sie hatte aufgehört zu zittern. In der Hütte war es angenehm warm, nur die sanften Stimmen der Kids und das Wirbeln des Sturmes waren zu hören. Ab und an stopfte jemand ein Holzscheit in den Ofen und lauschte dem Knistern und Knacken, wenn es vom Feuer gefressen wurde. Wie lange würden sie hier wohl ausharren müssen? Schaffte es Judith rechtzeitig in ein Krankenhaus? Jasmin sah wieder zu ihr. Sie hatte die Augen geschlossen, doch ihre Mundwinkel waren verzerrt. Judith hatte starke Schmerzen und ertrug sie mit Würde. Sie bewegte sich kaum, denn jede Bewegung verursachte erneut heftige Schmerzen. Jasmin wollte sich gar nicht vorstellen, wie es einem Tier gehen musste, welches verzweifelt in der Falle hing und in Todesangst, Panik und mit Höllenschmerzen auf seinen Untergang wartete. Menschen waren grausam. Sie gingen mit den fürchterlichsten Mitteln auf Lebewesen los, nur um sich zu bereichern, nicht um zu überleben. Respekt und Achtung gab es offensichtlich nicht. Zumindest viel zu wenig, denn sonst hätte nie stattgefunden, was sie bereits gesehen hatten. Es gab raue Gewalt. Es gab Menschen, die gegen Angstschreie resistent waren, die nicht mehr aufhören konnten und wollten, und erst zufrieden waren, wenn sie ihr wahnwitziges Werk beendet hatten. Ihre Opfer, meist wehrlos. In der Regel konnten sich Bären wehren. Sie hatten die Kraft dazu. Doch sie konnten sich nicht gegen den menschlichen Verstand wehren, der Dinge erfand, die über deren geistige Fähigkeit hinausging. Es war ein ungleicher Kampf. Tiere töteten,

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