Whisper (German Edition)
schloss, das Licht abdrehte und die beiden zurückließ.
Das Auto stand noch nicht ganz, das Abblendlicht leuchtete noch gegen die Front des Hauses, als die Beifahrertür schon aufgerissen wurde. Kino belastete seinen Fuß nicht ganz, aber er konnte immerhin schon wieder laufen. Eilig humpelte er Richtung Haus, wartete weder auf seinen Großvater noch auf Dan den Wildhüter, der sie beide gefahren hatte, sondern sprang einer Bombe gleich in den großen Gastraum. Natürlich hatte man den Wagen gehört, dennoch zuckte Susanna zusammen, als die Haustür so ohne Vorwarnung aufgerissen wurde. Die langen Haare Kinos lagen irgendwie quer über Kopf und Hals. Sein Hosenbein war hochgekrempelt und ein leuchtend weißer Verband zierte seinen Unterschenkel.
„Judith ist operiert worden“, platzte er heraus, kaum dass er das Haus betreten hatte, „aber sie wird ihr Bein behalten, und wenn man den Ärzten glauben kann, wird sie auch wieder gesund. Dan hat vorhin noch mit dem Krankhaus telefoniert. Auch die beiden Wilderer kommen durch. Einer von denen wird wohl sein Leben lang schwer behindert bleiben.“
„Und sag auch dazu, dass dein Bein noch dran ist, weil es Jasmin gegeben hat!“ Von hinten bekam er einen Klaps gegen den Hinterkopf. Kino duckte sich leicht und schielte zu dem Mann, der hinter ihm auftauchte. „Immer diese Jugend“, bemerkte sein Großvater kopfschüttelnd, „wie eine offene Zeitung. Aber ja es stimmt. Judith wird noch einige Tage im Krankenhaus bleiben müssen, aber sie sollte wieder gesund werden.“
„Na Gott sei Dank!“ Kinsky war aufgestanden, mehr um Kino genauer unter die Lupe zu nehmen, als seinen Besuch zu begrüßen. Doch der schob dreist seinen Großvater und den Rancher zur Seite.
„Ist Jasmin in ihrem Zimmer?“
„Nein!“ Jaro warf ihm nur einen kurzen Blick zu. „Sie ist im Stall, bei Tom.“
Das war genug Information. Kino sprang herum und war genauso schnell wieder aus dem Haus verschwunden, wie er hineingestürmt war.
„Den hat´s wohl schwer erwischt“, meldete Kinsky grinsend und erkannte das Nicken Davids, der seinen Blick wieder von der Tür nahm.
„Die gesamte Fahrt gab es nur ein Gesprächsthema. Jasmin!“
„Oh“, winkte Kinsky ab, „das ist gar nicht weiter schwer. Auch hier war der Name ´Jasmin` in jedem zweiten Satz vorhanden. Wenn ich das mal zart formulieren darf, dann haben wir der jungen Dame einiges zu verdanken. Die einen ein wenig mehr, die anderen weniger, denn ohne sie … ich weiß nicht …“
Kinos Großvater legte den Kopf ein wenig schief.
„Ich glaube, das war nicht nur sie allein. Vielleicht sollten wir alle ein wenig an Whisper denken?“
„Whisper?“ Susanna und Kinsky sprachen den Namen gleichzeitig aus.
„Das sollten wir vielleicht tun“, meinte Susanna schließlich. „Stefan hat uns von Whisper erzählt und ich persönlich würde diesem Pferde einen Orden verleihen, wenn es noch leben würde. Aber dann wäre das nicht passiert, was passiert ist. Ich lebe doch schon lange in diesem Land, habe schon viel Verrücktes gehört, Fantastereien belächelt und manchmal auch nur den Kopf geschüttelt. Doch diesmal … ich gestehe doch, meinen Hut zu ziehen. Ein Phänomen wie dieses habe ich noch nie erlebt, und wenn ich es nicht erlebt hätte, hätte ich ganz ehrlich meine Bedenken.“
Der alte Mann zuckte nur mit den Schultern.
„Ich weiß nicht, ob es nur ein Phänomen ist, oder etwas, was tatsächlich weit öfter passiert, aber nicht wahrgenommen wird. Ich behaupte, dass wir häufig mit den Seelen geliebter Menschen oder Tiere zu tun haben, als wir vermuten, aber wir hören nicht hin, weil man uns beigebracht hat, nicht daran zu glauben. Jasmin glaubt nicht nur daran, sie vertraut darauf und deutet die Zeichen intuitiv richtig. Deshalb ist sie in der Nacht mit Tom hinausgeritten. Tom wusste, wo die Kids waren, aber es gab nur einen, dem er sich verständlich machen konnte. Und Whisper ist es, die das alles möglich macht. Der Große Geist unterstützt das, denn nur durch ihn erscheinen die Raben, die sie leiten, und der Grizzly, der sie schützt. Jasmin hatte niemanden mehr in ihrem Leben außer Whisper. Jetzt hat sie Kino und sie hat uns.“ Der alte Mann stockte kurz, ließ seinen Blick einmal durch den Raum wandern, um dann in jedem einzelnen Gesicht hängen zu bleiben. „Mein Gespür sagt mir, dass wir an Jasmins Schicksal nicht unschuldig sein werden. Es gibt manchmal mehrere Wege, die sich vor uns auftun, aber wir
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