Whisper (German Edition)
auch in München, sehen …“ Es folgte ein Aufschluchzen, „… egal in welcher Form auch immer, werde ich sie wohl nicht mehr. Und es tut mir entsetzlich weh, auch das wieder aufzugeben. Tom, verdammt, ich bin glücklich hier …“ Abrupt ließ sie die Mähne los und wandte sich um, wischte sich zum ersten Mal über das Gesicht. Er war ihr nicht unwichtig, ganz und gar nicht. Und sie benutzte ihn auch nicht nur als Pferd. Tom war eine Besonderheit, eine Persönlichkeit in Pferdegestalt, er war Anker, Fels, Ruhepol, Sicherheit, alles in einem. Aber er würde hierbleiben, wenn sie wieder fort musste. Ein Gedanke, der sich kaum ertragen ließ. Tom, ich mag dich, aber ich habe noch nicht mal mit Whisper abgeschlossen, obwohl sie tot ist. Wie soll ich dann mit dir abschließen können, wo du lebst, aber auf dem falschen Kontinent verweilst?
Enttäuscht über die bittere Realität ließ sich Jasmin an der Boxenwand ins Stroh sinken. Sie zog ihre Beine an ihren Körper und legte ihre Stirn auf die Knie, schloss die Augen. Es war so unfair. Sie hatte hier doch alles. Warum ließ man sie nicht hier? Warum ließ man sie nicht einfach hier zufrieden leben, wo es nicht zu viele Menschen gab, die sie sehen konnten und sie anglotzten, als wäre sie gerade vom Mars gekommen. Warum musste man sie wieder in diese gottverdammte Stadt zerren und wieder von einem Therapeuten zum nächsten schicken, von einem Arzt zum anderen, wo man ihr das, was sie am meisten geliebt hatte, doch nicht mehr geben konnte.
Als Jasmin plötzlich eine Berührung spürte, zuckte sie zusammen und riss ihren Kopf hoch. Sie starrte in ein Pferdegesicht, bemerkte sein funkelndes Auge und spürte seine Zunge, mit der er sanft über ihre Hand leckte. Konnte Tom zwinkern? Oder war es jene Bewegung mit den Augen, die mit Whisper ident war und an ein Zwinkern erinnerte? Es war nur ein kleiner Blick. Nur der Blick dieses schwarzen Wallachs, der so viel bewegt hatte, und dem sie die Liebe nicht geben konnte, die sie einst für Whisper empfunden hatte.
Irgendwann sank Jasmin ganz ins Stroh und schlief ein. Tom nahm sich die Zeit, sie eingehend zu beschnuppern und zu untersuchen. Er zupfte an ihrer Kleidung, wühlte mit den Lippen in ihrem Haar und roch lange Zeit an ihrem Atem. Sanft strich er durch ihr Gesicht, leckte kurz an ihrem Hals, dann wieder an ihren Händen, bevor er sich neben sie stellte und an dem Heu knabberte, das man ihm gegeben hatte. Niemand bemerkte die Veränderung in seinem Blick. Jasmin spiegelte sich in seinen Augen. Es gab eine Seele, die ihm half zu verstehen, was sie gesagt hatte. Er spürte, was Jasmin und Whisper verband, aber er wusste auch, dass Whisper bald gehen musste, und die alte Stute tat alles was in ihrer Macht stand, um dem Wesen zu helfen, für die ihr altes Herz bis zu seinem Ende so stark geschlagen hatte.
Der Abend war eigentlich schon in tiefe Nacht übergegangen, als ein weiteres Fahrzeug auf den Hof von Six Soul fuhr. Türen wurden auf und zugeschlagen, Stimmen waren zu hören. Die muntere Runde im Wohnhaus hatte sich längst aufgelöst. Susanna hatte Nachtruhe angeordnet und die Kids in ihre Hütten gescheucht. Nur der harte Kern, bestehend aus Susanna selbst, Kinsky, Stefan und Jaro, war noch geblieben und hatten beschlossen, auf Kino und seinen Großvater zu warten, die sich kurz zuvor via Funk angemeldet hatten.
Bobby hatte erklärt bei Janina schlafen zu wollen, die ihn zuerst noch versucht hatte zu überreden, wie groß, toll und weich sein eigenes Bett war, aber nach endloser Quengelei nachgegeben hatte. Stolz über seinen errungenen Sieg hatte sich der junge Mann wiederstandlos ins Bett bringen lassen.
Irgendwann hatte Jaro das bestimmte Bedürfnis nach Tom zu sehen und Jasmin in seiner Box zusammengerollt vorgefunden. Der Wallach blinzelte nur kurz, als der Mann über die Boxenwand sah, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Jaro nahm eine alte Pferdecke, betrat die Box und deckte Jasmin fürsorglich damit zu. Sanft fuhr er über den Körper des schwarzen Pferdes, der nur einen kurzen Blick für ihn übrig hatte und weiterhin bei Jasmin stehen blieb.
„Ich bin dir so dankbar, Tom“, flüsterte der Mann, während er dem Tier über den Hals strich, „dass dein Pferdeherz so groß ist, dass eine ganze Jasmin da hineinpasst. Pass gut auf sie auf. Sie mag dich mehr, als du denkst. Aber ich glaube, das weißt du schon.“ Er klopfte das Tier noch einmal kurz, bevor er die Box verließ, den Riegel leise
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