Whisper (German Edition)
ihrem Leben hatte sie so machtvoll gespürt, wie es war, wenn jemand für den anderen einsprang.
„Mein Name ist Patrick und mein Leben bestand nur noch aus Computer, Haken und PC-Spielen. Mehr gab es nicht. Ich konnte es mir nicht vorstellen, hier auf Six Soul drei Wochen so ganz ohne Technik auszukommen, aber es geht. Schneller als man glaubt. Hier hatte ich zum ersten Mal Kontakt zu Tieren, zur Natur und zum wirklichen Leben, ohne Hektik und Stress. Hier haben wir Nutztiere, die man zum Überleben braucht, jene Tiere, die man zur Arbeit braucht und die, die mit uns unseren Planeten bevölkern. Jasmin hat einen unglaublichen Zugang zu allen Tieren und ihr Kontakt ist immer andächtig, wenn man so will. Zusammen mit diesen Tieren, besonders mit Pferden, ist sie nahezu unschlagbar. Man spricht immer wieder vom dummen Viehzeug, ohne Verstand und Gefühl. Doch wenn man Jasmin mit Tom beobachten darf, hat man den Eindruck, die beiden würden sich unterhalten. Whisper hat Jasmin sehr viel bedeutet. Ich durfte eine Zeitlang mit ihr allein durch den Wald ziehen. Was ich gesehen habe, nimmt mir niemand mehr weg. Die Tiere haben sie geleitet, beschützt und uns vor Schlimmeren bewahrt. Und wenn jetzt jemand sagt, das gibt es nicht, das ist Einbildung, dann kann ich nur zart darüber lächeln. Das, was wir hier draußen gelernt haben, steht in keinem Lehrbuch, wird nirgends unterrichtet und doch war und ist es für mich, und ich denke auch für die anderen, wichtig, da wir auf unsere Welt, auf unseren Ursprung, aufzupassen haben. Kein Geld der Welt kann uns das wiedergeben, was wir zerstören. Niemand kann dem Wapitikitz die Mutter wiedergeben, niemand die getöteten Bären und Berglöwen zum Leben wiedererwecken, niemand das reparieren, was die Wilderer, Menschen wie wir, zerstört haben. Die Wildnis da draußen braucht uns nicht. Aber wir brauchen dieses Land, um überhaupt existieren zu können. Ich glaube, Jasmin hat bei jedem von uns unterschiedliche Spuren hinterlassen, weil jeder das für sich Wichtigste aus dem Erlebten entnommen hat. Wenn also jemand sagt, was soll aus Jasmin werden, dann sollte man mal überlegen, was aus ihr schon geworden ist, was sie herüberbringen kann. Jeder von uns wird anders nach Hause fahren. Jeder wird diesem Land Tränen nachweinen, und jeder wird wissen, was er hinterlassen hat, wenn er wieder mitten in der Stadt sitzt, dem Verkehr, dem Dreck, dem Stress und den unfreundlichen Menschen gegenübersteht und sich erinnert, wie gut wir es hier hatten, in einem Teil der Welt, in der wir Mitglied der Wildnis waren, gelernt haben, Respekt und Achtung davor zu entwickeln, und diese auch als solche genommen und nicht mit Füßen getreten haben. Jasmin sollte hierbleiben können. Sie ist für die Stadt nicht gemacht. Jeder von uns weiß das. Lasst sie, verdammt nochmal hier, denn in Deutschland wird sie verkümmern.“
Bis auf ein leises Aufschluchzen war es vollkommen ruhig. Kinsky hatte seine Frau in den Arm genommen, die sich dankbar an seine Schulter lehnte. Susanna weinte. Zu sehr hatten sie die Worte berührt. In der Tür, die von der Küche aus in den hinteren Bereich des Hauses führte, lehnte Janina. Irgendwann war sie dazu gekommen, im Türrahmen stehengeblieben, und kämpfte ebenfalls mit den Tränen. Jaros Gesicht hatte sich versteinert. Ein Zeichen, dass auch er mit sich selbst zu tun hatte, denn auch an ihm gingen die Worte der Jugend nicht vorbei. Worte, die an den meisten Menschen formlos abprallten, die nicht gehört werden wollten, und deren tiefe Bedeutung keinen Empfänger fanden. Die meisten Menschen nahmen Dinge, wie sie die Kids beschrieben hatten, noch nicht mal wahr, sondern eroberten sich ihren Platz in der Welt, ohne Rücksicht auf das, was ihnen geboten wurde. Mit Worten wie Respekt, Achtung und Liebe wurde achtlos oder auch schleuderhaft umgegangen, ohne darüber nachzudenken, welchen Wert diese Worte hatten. Jasmin hatte deutlich bewiesen, ohne es selbst wirklich zu wollen, welche Macht die Liebe haben konnte, und was zu erreichen war, wenn man Respekt vor dem hatte, was ein Leben erst möglich machte.
Jasmin selbst war überwältigt. Sie hatte nicht viel bis gar nichts erwartet. Bisher war sie vom Leben nicht unbedingt verwöhnt worden. Zart hatte sie angenommen, was ihr Jaro, Kino, sein Großvater, die Kinskys und auch Tom gegeben hatten, mit dem Wissen, dass alles zu einer gewissen Zeit vorbei sein würde. Nun stellte man sich vor sie, erzählte von eigenen
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