Whisper (German Edition)
schuld, wenn sie abhaut. Was juckt mich das?“
Markus sah sie böse an.
„Du bist echt zu blöd zu begreifen, wie ekelhaft du bist, was?“
Damit trat er an ihr vorbei und trug seinen Sattel hinaus. Christina sah ihm kurz hinterher, spitzte ihren Mund, erhielt aber dann einen Rempler von Judith.
„Lass ihn meckern“, forderte diese die Freundin auf. „Wer braucht schon einen Markus?“
Nochmals erntete Jasmin einen gehässigen Blick und beobachtete, wie die Mädchen verschwanden. Allein blieb sie zurück, kämpfte noch immer mit dem Schmerz und versuchte nach dem am Boden liegenden Sattel zu greifen. Doch genau jetzt versagte ihr die rechte Hand komplett den Dienst. Irgendeine Sehne war beleidigt. Wütend versuchte sie den Sattel mit der Linken hochzuheben, doch für nur eine Hand war der Sattel zu mächtig. Jasmin gab den Versuch auf. Was hatte Judith gesagt? Ein Krüppel? Weit entfernt davon war sie wirklich nicht. Wütend gab sie dem Sattel einen Tritt. Er flog nicht weit, war zu schwer. Wieder griff Jasmin nach ihrer rechten Hand. Das Gelenk schmerzte. Ja Himmel und Hölle, hätte man sie nicht in München lassen können?
„He, Jasmin.“ Sie sackte zusammen. Wenn sie für alles immerzu Hilfe benötigte, dann wollte sie sich irgendwo einsperren und nie wieder dort rauskommen.
Kino sah, wie sie sich den Arm hielt, bemerkte den Sattel am Boden. Es war nicht schwer zu erraten, was passiert war, mit was Jasmin Schwierigkeiten hatte und wer dafür verantwortlich gewesen sein musste. Mit einigen wenigen Schritten war er bei ihr. Es war schon bemerkenswert, wie schnell die Mädchen die Sekunden ausnutzen, in denen er Jasmin nicht im Auge hatte.
Vorsichtig griff Kino nach ihrer Hand, versuchte den Ärmel hochzuschieben, da er an eine Verletzung glaubte, doch diesmal verhinderte Jasmin das entschieden. Zornig und enttäuscht entzog sie ihm ihre Hand.
„Die Mädchen?“, fragte er ruhig, ließ zu, dass sie den Ärmel ganz nach unten zog, und akzeptierte ihren abgewandten Blick. Er hörte nur ein leises Aufseufzen und sah zu, wie sie sich frustriert umdrehte und auf eine Truhe setzte. Er brauchte keine Worte, um zu wissen, dass sie resignierte. Natürlich kannten die Mädchen ihre Schwächen und nutzten die Tatsache, dass sie nicht sprach, schamlos aus. Allen war klar, dass Jasmin sich nicht beschweren würde, was es ihnen leicht machte, auf ihr herumzuhacken. Kino ahnte, wie ihr diese kleinen Angriffe zusetzen, und konnte sich lebhaft vorstellen, wie es war, sich in einer Gruppe zu halten. Man brauchte schon eine immens starke Persönlichkeit und ein richtig dickes Fell, um die Attacken zu schlucken und jedes Wort zu überhören. Jasmin konnte das nicht. Sie besaß weder das sichere Wesen noch das dicke Fell. Und er erkannte, dass er nicht immer bei ihr sein konnte. Es gab ganz kurze Momente, so wie diesen hier, wo sie allein war, und sich einfach nicht wehren konnte, sondern Schlag um Schlag einzustecken hatte. Es war gut ihr unter die Arme zu greifen, sie zu stützen und ihr zu erklären, dass sie nicht so allein war, wie sie glaubte zu sein. Aber auch Jasmin musste das begreifen, wovon sie noch eine ganze Ecke entfernt war.
Kino sah in dem Mädchen eine Besonderheit mit bestimmten Fähigkeiten, die es nur ein wenig zu wecken galt. Aber was nutzte ihr das, wenn nur er daran glaubte. Jasmin hatte einen besonderen Draht zu der nicht greifbaren Form des Lebens. Er war Indianer, sein Vater war Indianer, seine Mutter war Indianerin gewesen, und sein Großvater war einer von der Sorte First Nations, die sich gerne spirituellen Riten bedienten, die die Geister um Rat fragten, und die das Umfeld allen Lebens um sich herum, und auch die Macht der Natur ehrten. Sein Großvater orientierte sich stark an natürlichen Zeichen, hörte auf Intuitionen und respektierte das, was ihm die Natur gab. Er bat oft und dankte noch viel mehr, er nahm, um noch viel mehr zu geben. Für Kino war sein Großvater jenes Wesen, welches man fragte, wenn man mit seinem eigenen Latein am Ende war, wenn man Rat suchte, Kraft brauchte oder der einen beruhigte, wenn man sich gar zu aufgewühlt fühlte. Bei ihm spürte man den Draht zum nicht Greifbaren. Kino glaubte, dass man Indianer sein musste, um diese Dinge zu fühlen und an sich heranzulassen, denn er kannte kaum jemanden, der bereit dazu war. Selbst unter seinesgleichen gab es genug, die nicht mehr zuhörten, die nicht mehr bewusst fühlten, und sich nicht mehr auf innere Eingebungen
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