Whisper (German Edition)
lenkte Tom nochmals im Linksgalopp um die Bäume, um abermals die Richtung zu ändern und ihn während des Galoppsprunges vom Links - in den Rechtsgalopp springen zu lassen. Dabei griff sie dezent in die Zügel, nur um kurz Kontakt mit Tom aufzunehmen und um sicherzugehen, dass er sie verstanden hatte. Aber Tom verstand sie ohne Weiteres. Sie gab deutliche Signale, zappelte im Sattel nicht herum und wusste genau, wann sie zu welcher Zeit das Gewicht auf welche Arschbacke zu verlegen hatte. Kino schaffte es nur ganz kurz, den Blick von ihr zu lösen, blickte zum Viereck hinüber und bemerkte, dass sich alle am Zaun versammelt hatten und staunend das Schauspiel verfolgten. Stefan war auf die oberste Zaunlatte geklettert, schien ebenso verblüfft wie Kino, und als sich ihre Blicke kreuzten, hob er kurz den Daumen in die Luft. Da sollte doch einen der Teufel holen. Kino spürte mächtig viel Stolz in seiner Brust hochkeimen. Die kleine Jasmin! Dieses unscheinbare, verschlossene, in sich gekehrte Mädchen barg Geheimnisse, die sich nur schrittweise lüfteten. Und er trug einen ganz wesentlichen Teil dazu bei.
Eigentlich hatte Susanna nur noch schnell die Küche zusammenräumen wollen. Da standen noch Gläser herum, eine Schüssel, und der Tisch gehörte auch noch abgewischt. Dabei warf sie automatisch einen Blick aus dem Fenster und verharrte von einer Sekunde auf die andere. Sofort warf sie den Lappen, den sie in der Hand hatte, mit Schwung in die Küche, schnappte sich Bobby und stürmte hinaus, als ob das Haus in wenigen Sekunden zusammenbrechen würde. Es war kaum zu glauben. Dort saß jenes Mädchen, die gestern noch einen kilometerlangen Tagesmarsch abgeliefert hatte, auf einem Pferd und galoppierte wie selbstverständlich um die Baumgruppe herum. Bei allen guten Geistern, sie saß sicher im Sattel, sehr sicher sogar, war alles andere, aber bestimmt kein blutiger Anfänger. Und auch Susanna stellte sich genau in diesem Moment die Frage, warum Jasmin sich am Vortag strickt geweigert hatte, in den Sattel zu steigen.
Die Frau eilte über den Hof, zog einen kichernden Bobby hinter sich her, und trat völlig außer Atem an die Umzäunung des Vierecks heran, wo sie Bobby einfach losließ. Nicht nur sie war zutiefst überrascht, diese Überraschung saß, ohne Ausnahme, bei allen. Susanna bemerkte Stefans strahlendes Gesicht und Kino konnte ebenso wenig das verbergen, was in ihm vorging. Wie um alles in der Welt hatte er das geschafft? Was hatte der junge Mann zu ihr gesagt, mit was überzeugt? Woher zeugte der Einfluss, den Kino auf das Mädchen zu haben schien? Sie ritt Tom völlig selbstständig und zeigte, dass sie keine ungeübte Reiterin war, sondern durchaus in der Lage war, ein Pferd zu kontrollieren. Susanna spürte, dass es Kino mit mächtig viel Stolz erfüllte, das erreicht zu haben und ihr jetzt zusehen zu können. Sein Vater, Jaro Singing Bird, hatte schon eine eigene Ausstrahlung. Man war geneigt zu glauben, er würde in einen hineinsehen können und Susanna wusste, dass Jaro nur ein schwacher Abklatsch von Kinos Großvater war. Jaro trat allem und jedem mit Respekt gegenüber. Bat man ihn um Hilfe, war er der Letzte, der Nein sagen würde, brauchte man Hilfe bei den Tieren, kam er mit einem Wissen und mit einer Handlungskraft, die jeden Tierarzt in den Schatten stellte. Jaro war eine Sache für sich. Sie hatte ihn von Anfang an gemocht. Kino war aus demselben Holz geschnitzt. Er besaß eine seltene Art mit Pferden umzugehen, verstand es, sie in völliger Vertrautheit einzureiten und auszubilden. Ihm zuzusehen war ein Genuss. Und diese ruhige Vertrautheit konnte er auch auf Menschen ausweiten. Schon bei so manchem Problemfall hatte er Dinge bewirkt, die sonst niemand zustande gebracht hätte. Noch nie hatte Susanna ihn aufgefordert oder ihn gebeten, ihr bei diesem oder jenem Teenie zu helfen. Kino war einfach da und hinterließ Spuren, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Wie sein Vater und sein Großvater war auch er jemand, der seinen Lebensraum mit großem Respekt betrachtete. Ein Pferd zuzureiten war für ihn eine Bitte an das Wesen, mit ihm zusammenzuarbeiten, ihn aufsitzen und reiten zu lassen, um sich gegenseitig das Leben zu erleichtern. Ein Pferd zu reiten oder einfach seine Kraft für sich zu nutzen, war für ihn keine Selbstverständlichkeit. Dass dieser junge Indianer generell eigene Umgangsformen hatte, wusste jeder. Doch diesmal hatte er sich selbst übertroffen. Seine langen
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