Whisper (German Edition)
schnaubte leichte erregt und versuchte auszumachen, wer oder was das Geräusch im Wald ausgelöst hatte. Dabei wandte sie Jasmin den Kopf zu. Die Stute hatte eine Blesse im Gesicht. Sie begann an den Wirbeln, verlief über den Nasenrücken und breitete sich über die rechte Nüster aus. Das Pferd hatte die Ohren nach vorne aufgerichtet, zuerst den Kopf steil erhoben, jetzt senkte sie ihn wieder etwas. Jasmin saß mucksmäuschenstill auf dem Boden, wagte nicht, sich richtig hinzusetzen, ihre Beine auszustrecken oder sich zu bewegen. Gespannt wartete sie, ob das Pferd die Flucht ergreifen würde, oder nicht.
Erst nach einer endlosen Zeit, Jasmin schliefen bereits die Beine ein, glitt die Spannung von dem Tier, und es begann wieder an dem Gras zu zupfen. Das Mädchen atmete still und leise durch, setzte sich nun doch etwas bequemer hin und bemerkte plötzlich, wie die Stute erneut den schönen Kopf hob und in ihre Richtung blickte. Und mit einem Male wusste es Jasmin. Sie wusste es einfach. Das Pferd hatte sie längst bemerkt, hatte sie gesehen und hatte sie erkannt. Das Malobjekt hatte ihren Zeichner erkannt.
Fast eine Stunde saß Jasmin am Baum, halb in den Büschen versteckt und beobachtete die Stute beim Grasen. Sie tat nichts anderes. Verjagte Fliegen und fraß, bewegte sich mal hierhin, mal dorthin, warf ihr ab und an einen Blick zu, schlug mit dem Schweif und schüttelte hin und wieder den Kopf. Aber sie blieb in ihrer Nähe, bewegte sich nie weit weg. Erst als vom Ranchgebäude her ein lautes Scheppern zu hören war, drehte die Stute um und trabte in den Wald. Innerhalb von Sekunden verschwand sie aus Jasmins Blickfeld. Diese versuchte noch ihr nachzublicken, sprang hoch, um zu sehen, wohin die Stute gelaufen war, doch kaum war sie auf der Wiese, war das Tier wie vom Erdboden verschluckt. Zurück blieb nur das zusammengetretene Gras und die Fläche, auf der sie gefressen hatte. Mehr nicht.
Aufseufzend und etwas enttäuscht ging Jasmin zum Haus zurück. Würde sie die Stute wiedersehen? Kam sie wieder zurück? Kinos Großvater hatte gesagt, dass sie regelmäßig kam, sich zeigte und wieder verschwand. Vielleicht kam sie heute nochmal, vielleicht auch erst morgen. Sie würde es sehen.
Beim Stall angekommen, führte sie ihr erster Weg zu dem Verschlag, in dem man die Ziege und das Wapitikitz untergebracht hatte. Freudig meckernd meldete sie sich, während das Kitz einen wahren Freudenanfall zu bekommen schien. Kaum hatte Jasmin den Verschlag betreten, hüpfte der kleine Mann heran, sprang sofort auf ihren Schoß, als sich Jasmin niedergekniet hatte, leckte ihr Hals und Gesicht und war gar nicht mehr von ihr runter zu bekommen. Jasmin nahm das kleine Wesen liebevoll in ihre Arme, streichelte das gepunktete Fell und freute sich, dass das Kitz ein kleines Bäuchlein hatte. Die Ziegenmilch schien dem Tier außerordentlich gut zu bekommen.
Das Kitz selbst bekam gar nicht genug von Jasmin. Es turnte auf ihr herum, presste sich an sie und sprang sofort wieder auf ihren Schoß, kaum dass das Mädchen es ins Stroh befördert hatte. Erst als Jasmin es hinter den Ohren kraulte, beruhigte sich das kleine Wapiti und blieb halb auf ihrem Schoß, halb im Stroh ruhig liegen. Die Ziegenmama selbst beobachtete das Ganze aus respektvollem Abstand. Ganz verstehen konnte sie das Verhalten des Jungtieres nicht. Wie auch, sie war ja nur eine Ziege, kein Wapiti, welches vielleicht wusste, dass es nicht mehr leben würde, hätte es Jasmin nicht geben.
„Kommst du frühstücken, oder muss ich alleine essen?“
Jasmin zuckte abermals zusammen, zwar nicht so heftig wie früh am Morgen, aber doch. Sie hatte sich so sehr auf das Kitz konzentriert, dass sie den Indianer wieder nicht bemerkt hatte.
„Komm ins Haus, Jasmin. Hinterher bringen wir die Ziege mit ihrem Adoptivkind hinaus an die Sonne.“
Er erwartete keine Antwort, sondern war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war, weswegen Jasmin es eilig hatte, ihm hinterherzugehen. Der alte Mann hatte sich gestern Abend zu rührend um sie gekümmert, sich ihrer angenommen und verströmte so eine wohlige Ruhe, dass sie ihn nicht allein lassen wollte. Immerhin beherbergte er sie, und ihr stand nicht der Sinn danach, unhöflich zu sein.
Als Jasmin das Haus betrat, duftete es nach frischem Brot. Konnte der Alte etwa selbst backen? Neugierig schlich Jasmin in den Wohnraum und lugte in die Küche. Dort stand wirklich der Indianer vor dem Ofen und holte das dampfende Brot
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