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Whisper (German Edition)

Whisper (German Edition)

Titel: Whisper (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Kien
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sie und legte die Figur hinein, um hinterher die Finger darum zu schließen.
    „Es gibt Freunde“, meinte er, wobei er sanft ihren Blick suchte, „die verliert man auch nach dem Tod nicht. Sie geistern umher und stehen einem bei. Deine Freundin ist nicht fort, sondern sie wacht neben dir. Sie sieht nach wie vor das offene Buch, liest darin. Sie kennt die Geschichte, muss sie nicht neu erfahren. Und es gibt Leser, die dieses Buch lieben, nicht ständig darin forschen wollen, sondern den Einband sehen und am Ende des Buches eine neue Geschichte dazuschreiben. Andere werden lernen müssen, mit diesem Buch richtig umzugehen.“
    Jasmin wich seinem Blick nicht aus. Der Mann war, genauso wie Kino, einer der ganz wenigen Menschen, bei denen sie sich sicher fühlte, einer, der nicht in ihrem Inneren herumstocherte. Er sagte selbst, dass ihre Freundin neben ihr wachte und immer bei ihr war. Und Whisper war bei ihr. Sie fühlte sie mit jeder Faser ihres Herzens, spürte, wie sie sie beruhigte und ihr Kraft schenkte. Das Pferd sei tot, hatte man ihr in München erklärt, es wäre vorbei und sie würde darüber hinwegkommen, ein wenig trauern … Man räumte ihr noch nicht mal das Recht ein zu sagen, die Pferdeseele sei über die Regenbogenbrücke gegangen und würde nun ein besseres Leben in einer anderen Welt führen. Man hatte etwas von Tierkörperverwertung und Seife gefaselt. Sie sprach von Seele, man erklärte ihr was von Körper, sie sprach von Träumen, von Erscheinungen, und man kam mit Spinnerei, mit aufgewühltem Bewusstsein, mit verarbeiten müssen, mit schizoider Persönlichkeitsstörung und mit tiefgreifenden Gesprächen, die sie nicht mehr hören wollte.
    Jasmin seufzte leise auf.
    „Hier vielleicht“, erklärte sie fast flüsternd, „aber niemals in München!“
    Der alte Mann senkte den Blick. Es war manchmal hart sich einzugestehen, dass gewisse Dinge einfach stimmten. Und diesmal stimmte es, was Jasmin gesagt hatte. Es gab hier, in ihrem jetzigen Umfeld Menschen, dir ihr erlaubten, ihre Gefühle zu fühlen, ihre Gedanken zu glauben und das zu leben, was sie in ihren Träumen sah, sich zu öffnen, ohne der Angst, unverstanden zu bleiben und als „krank“ abgestempelt zu werden. Niemand in diesem Land wusste so genau, was Jasmin passiert war. Man hatte das mit dem Wort „Unfall“ getarnt. Kino war der Erste gewesen, der begriffen hatte, dass „Unfall“ der komplett falsche Ausdruck dafür war. Er hatte den bestimmten Draht zu Jasmin gefunden, nicht weil er ein so besonderer Mensch war, sondern weil er auch noch dann zuhörte, wenn andere längst lachten. Jasmin war nicht verrückt und auch nicht gaga. Sie lebte vor sich hin, suchte Halt, suchte nach Sicherheit, suchte ein wenig menschliche Zuwendung, und suchte vor allen Dingen nach demjenigen, der sie auch dann noch als normal einstufte, wenn das Pferd, das sie zigfach zu Papier gebracht hatte, plötzlich auf einer Wiese erschien, sanft den Kopf schüttelte und das zarte Gras abzupfte.
    Als er schließlich wieder aufblickte, traf er zufällig den Blick ihrer grünen Augen und griff unweigerlich ein weiteres Mal nach ihrer Hand.
    „Die drei Wochen sind noch nicht um. Warte auf das, was noch kommen wird. Ich denke, dass auch noch andere deine weitere Zukunft mitbestimmen werden.“
    Jasmin sah ihn groß an. Vermutlich nahm sie seine Worte anders auf, als er es gemeint hatte, denn sie entzog ihm ihre Hand und griff nach dem Becher.
    „Davon bin ich überzeugt!“, erklärte sie nüchtern und es tat dem Alten fast ein wenig weh, dass sie den Unterton in seiner Stimme überhört hatte.
     
    Den gesamten Vormittag half Jasmin dem alten Mann die Tiere am Hof zu versorgen. Es gab einige Milchkühe, die das ganze Jahr über auf der Ranch blieben und nicht wie die anderen ausgetrieben wurden. Die Schafweide war direkt an die Stallungen angeschlossen. Zäune mussten kontrolliert, der Stall ausgemistet und eingestreut, und die Tränkerbecken gesäubert werden. Die Hühner nahmen den hinteren Waldteil in Beschlag, entfernten sich aber nie weit vom Stall. Greifvögel und Kleinräuber, wie Marder oder Füchse, konnten ihnen leicht zum Verhängnis werden, und die Hühner wussten das. Es gab auch einige Pferde auf der Ranch. Drei der Stuten führten Fohlen, zwei Wallache warteten darauf, gebraucht zu werden und drei Jungpferde sollten in den nächsten Wochen von Kino eingeritten werden. Doch für den heutigen Tag kamen sie alle auf die Weide. Jasmin stöberte

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