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Whisper (German Edition)

Whisper (German Edition)

Titel: Whisper (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Kien
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sogar etwas in der Sattelkammer herum. Es gab einige alte Westernsättel, alte verzierte Kandaren und Zaumzeuge, die bestimmt schon etliche Pferdeköpfe gesehen hatten. Manches war geflickt, aber alles sah gut gepflegt aus. Kino schien viel Wert auf die alten Sachen zu legen.
    Zu Mittag zeigte ihr der alte Mann wie man Steaks grillte. Er versuchte sie einmal mehr zu einem Gespräch aufzufordern, scheiterte aber an ihrer Teilnahmslosigkeit. Jasmin war einmal mehr mit sich selbst beschäftigt und zeigte keine große Lust, sich zu unterhalten. Irgendwann nach dem Essen stahl sie sich mit ihrer Zeichenrolle aus dem Haus und ging, einem inneren Antrieb folgend, wieder auf jene Wiese, auf der sie am Morgen das Pferd beobachtet hatte. Irgendwie wünschte sie sich, die Stute würde auftauchen und sich ihr nochmals zeigen.
    Unter einem großen Baum am Waldrand setzte sie sich in die Wiese, holte ihren Zeichenblock hervor und begann mit dem Bleistift ein weiteres Mal ihr Pferd zu skizzieren. Diesmal war ihr Bild sehr authentisch und real. Das Pferd hatte unweit von ihr entfernt in der Wiese gestanden, hatte Fliegen verjagt, gegrast und einige Male prüfend die Umgebung beäugt. Und diesen prüfenden Blick brachte sie nun aufs Papier. Jasmins Hand glitt mühelos über das Blatt. Sie brachte den Kopf mit erstaunlicher Sicherheit hin, platzierte das Auge dort, wo es hingehörte, gab sogar der Nüster diesen leicht geblähten Zustand, wenn Pferde die Luft in die Lungen sogen und feine Geruchsstoffe herausfilterten. Das Profil des Kopfes war die perfekte Nachahmung des Originals. Jasmin führte den Stift sauber und zauberte die Halspartie originalgetreu, zeichnete die wenigen Mähnenhaare, die hinter den Ohren in die Höhe standen, und vergaß nicht, die Mähne unterm Hals sichtbar werden zu lassen. Sie skizzierte das Pferd von rechts, aber die Mähne fiel über die linke Halsseite, war aber so lang, dass sie unterm Hals wieder hervorschaute. Es folgten Rücken und Bauchlinie, Kruppe und Schweif. Liebevoll ließ ihn das Mädchen schlagen und brachte es perfekt hin. Danach machte sie sich an Brust, Vorder – und Hinterbeine. Sie waren kraftvoll, sehnig, nicht zu lang und auch nicht zu kurz. An dem Pferd passte einfach alles, und das Blatt Papier erwachte in diesen Momenten zu neuem Leben. Die weißen Fesseln, hinten die weißen Stiefel. Jasmin wischte immer mal wieder mit dem Finger über die Bleistiftstriche und gab dem Bild so einen leicht verwaschenen Eindruck. Aber je mehr sie feilte, rieb, prüfte und besserte, desto mehr lebte es. Jasmin konnte es fast im Herzen fühlen. Dabei bemerkte sie nicht, wie die Zeit mehr und mehr verging. Sie war so sehr mit sich und dem Bild beschäftigt, dass Zeit für sie relativ wurde. Sie nahm die Geräusche der Natur um sich herum nur ansatzweise wahr, bemerkte die Raben nicht, die ganz in ihrer Nähe im Geäst saßen und geschäftig ihr Gefieder putzten, und sie bemerkte auch nicht, wie die Schatten immer länger wurden. Vertieft in ihre Zeichnung fiel ihr auch die Gestalt nicht auf, die sich zwischen den Bäumen hervorschob, sie mit wachem Blick beäugte und vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzte. Dazwischen zupfte das Wesen halbherzig an dem Gras, was aber nur eine sekundäre Handlung war. Immer wieder wanderte sein Blick zu dem Mädchen, die noch immer den Bleistift über das Papier zog, aber nur um noch an Feinheiten zu arbeiten. Das Wesen schüttelte leicht den Kopf, schlug mit dem Schweif und gab genau jenes Bild ab, welches Jasmin auf das Blatt gezaubert hatte.
    Neugierig trat es noch einige Schritte näher. Jasmin hätte es längst bemerken müssen, doch erst durch das sanfte Schnauben wurde das Mädchen aufmerksam.
    Sie zuckte wie unter einem Granateneinschlag zusammen und riss ihren Kopf herum, erstarrte nahezu zur Salzsäule, als sie das Pferd erkannte, und bemerkte gleichzeitig, dass sich das Tier ihrer Anwesenheit durchaus bewusste war. Beide blickten sie sich in die Augen, wobei Jasmin das um Ecken betretenere Gesicht machte. Das Wesen nickte leicht mit dem Kopf und zupfte wieder am Gras herum, ohne aber wirklich zu fressen. Sie sah sich immer mal wieder um, prüfte, um dann ihren Blick wieder auf Jasmin zu lenken.
    Das Mädchen hatte das Blatt zuerst krampfhaft in Händen gehalten, um ja kein Geräusch zu verursachen, doch ihr Instinkt und ihre Erfahrung sagten ihr, dass das Pferd nicht am Absprung zur Flucht war, sondern sich ihr neugierig näherte, weswegen sie das

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