Whisper (German Edition)
Blatt sanft neben sich rutschen ließ. Zusammengeduckt wie eine Schildkröte, die Hände um ihre Knie gelegt, beobachtete sie das Pferd, welches kaum zehn Meter von ihr entfernt stand, und den Abstand langsam aber stetig verringerte. Immer wieder blickte sie auf, reagierte auf das Krächzen der Raben … (Ach, die Raben. Vielleicht registrierte Jasmins Unterbewusstsein die Anwesenheit der beiden Vögel, denn ihre Konzentration gehörte dem Pferd) … indem sie kurz die Ohren anlegte, sie aber dann wieder nach vorne stellte und abermals zwei Schritte auf Jasmin zuzutun. Das Mädchen konnte die Konturen des Kopfes gut erkennen. Die Blesse, die über den Nasenrücken lief und sich über die rechte Nüster zog, die großen, dunkeln Augen, der weiße Schopf, der zwischen den Ohren hervorragte. Die Brust, sie war gut bemuskelt und die Vorderbeine so glatt und geschmeidig … Jasmin erschrak heftig, als das Tier plötzlich in den Boden stampfte, als ob es wütend wäre, aber dann ihren Kopf am Vorderfußwurzelgelenk rieb. Dabei betrachtete sie Jasmin mit gesenktem Kopf und verzog etwas die Lippe. Jasmin musste lächeln. Sie kannte diese Bewegung. Auch Whisper hatte sie hin und wieder von unten angesehen und exakt nach demselben Muster die Lippe verzogen. Früher hatte es sie immer zum Lachen gebracht. Heute war es nur noch ein Lächeln. Aber es entspannte. Es waren deutliche Zeichen von Vertrautheit. Die Stute war weder ängstlich noch allzu vorsichtig, sondern schien einfach zu überlegen, wie sie Jasmin am besten einordnen konnte.
Wieder kam sie einige Schritte näher. Jetzt belief sich der Abstand vielleicht noch auf fünf Meter. Jasmin konnte bereits die kleinen Schrammen im Fell sehen, die das Leben in der Wildnis so mit sich brachten. Kleine Verletzungen, Kratzer, Schmutzflecken. Von Weitem nicht erkennbar, aber aus der Nähe doch zu sehen. Jasmin fragte sich, wie weit das Tier wohl an sie herantreten würde. Irgendwie fand sie an dem Tier etwas Bekanntes, Vertrautes. Die Art, wie sie sich bewegte, die kleinen Gesten, das Bewegen der Lippe. Als ob sie es schon ewig kennen würde. Wenn sie die Stute nun berührte, würde sie sich auch vertraut anfühlen? War dieses Pferd in der Wildnis groß geworden oder irgendwo entlaufen? Wurde sie vielleicht gesucht? Vielleicht waren ihr Menschen gar nicht so fremd. Vielleicht suchte sie deswegen die Nähe der Ranch, da ihr Menschen und das damit verbundene Futter und die Pflege einfach fehlten? Jasmin warf einen kritischen Blick auf die Stute und verglich sie mit den Bildern, die ihr immer wieder im Traum erschienen waren. In ihren Erscheinungen war das Pferd immer allein gewesen. Nie hatte es Anzeichen von Menschen oder von Besitz gegeben. Vermutlich auch, weil es für das Pferd generell nicht oder nicht ganz so wichtig war.
Wieder kam die Stute einen Schritt näher. Jasmin entspannte sich immer mehr. Etwas Sanftes breitete sich in ihrem Gesicht aus, die Unruhe verflog, als sie das Gefühl hatte, in die Aura dieses Wesens zu tauchen. Vertraute Verbundenheit machte sich in ihr breit. Wohlige Wärme schmeichelte um ihr Herz und gab ihr Kraft.
Es waren nur noch wenige Schritte. Die Stute senkte den Kopf, prustete über den Boden, streckte den Kopf nach vorne und berührte Jasmins Knie. Ganz leicht strich sie mit der Oberlippe darüber, stupste sie zart an, um dann mit den Nüstern ihren Oberschenkel zu beriechen. Einem Impuls folgend griff Jasmin mit den Fingern an das Kinn des Pferdes, berührte die weiche Haut, erfühlte die Tasthaare. Die Stute suchte ihre Finger, schob ihre Nase unter ihre Hand und sog den Duft des Mädchens ein. Sanft bewegte Jasmin ihre Hand um die feinen Nüstern, sah tief in die dunklen Augen des Tieres, bemerkte die langen Wimpern. Wieder stupste das Tier sie an, was Jasmin dazu veranlasste, auf ihren Nasenrücken zu greifen, mit der Hand nach oben auf die Stirn zu gleiten, kurz den Schopf zu berühren und dann nach unten zu streichen. Wohlig ließ sich die Stute die Berührung gefallen. Jasmin fühlte ein Kribbeln in ihren Händen, welches sich über ihre Arme und ihren gesamten Körper ausbreitete. Erst langsam, so ganz langsam, wurde ihr bewusst, was sie da tat. Kinos Großvater hatte nie von einem entlaufenen Pferd gesprochen, sondern von einer Stute, die kam und wieder ging. Man hatte sie beobachtete, sich ihr aber nie nähern können. Kino hatte versucht ihr zu folgen, es aber nicht geschafft. Ihre Bilder, sie waren das gezeichnete Duplikat zu dem
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