Whisper Island (01) - Sturmwarnung
überhaupt irgendjemandem was tun?«
Der Sheriff ließ Seths Frage im Raum stehen, wie um anzudeuten, dass nur Seth selbst sie beantworten könne. Er musterte ihn eindringlich, so als würde er ein Buch lesen. Das Schweigen zog sich hin.
Schließlich sagte Seth gereizt: »Ich weiß überhaupt nichts über Becca King. Ich weiß auch nichts über irgendjemanden sonst. Ich weiß gar nichts.«
»Das werden wir ja sehen«, antwortete Sheriff Mathieson. »Aber denk daran: Ich habe ein Auge auf dich, Seth.«
Nach dieser Auseinandersetzung wäre Seth um ein Haar gar nicht mehr zur Smugglers Cove Blumenfarm gefahren. Stattdessen war er kurz davor, das Cliff Motel aufzusuchen und Debbie Grieder die Meinung zu sagen. Seit sie zu den AA-Treffen ging, hatte sie vielleicht viel über Alkoholismus gelernt, aber dafür gab es jede Menge Dinge, von denen sie nichts wusste hatte oder die sie einfach gern ignorierte.
Zum Beispiel war es schwer vorstellbar, dass sie nicht wusste, dass Sean schon mit fünfzehn Jahren angefangen hatte, Drogen zu nehmen, nämlich kurz nachdem Reese gestorben war. Und dass er auf dem Teil der Klippe, der am meisten Sonne abbekam, zwischen den Büschen und für alle sichtbar, Hanf angebaut hatte. Und sie musste es gemerkt haben, als er anfing, Speed zu nehmen. Seth war zwar zehn Jahre jünger als Sean Grieder, aber selbst er hatte gemerkt, dass es mit Sean bergab ging.
Er konnte Debbie Grieders Einstellung nicht ändern, dachte er, als er die Schnellstraße in nördliche Richtung fuhr. Und Sean konnte er auch nicht helfen. Und an Beccas Situation konnte er auch nicht viel ändern, außer sie ihr ein wenig zu erleichtern. Aber eines konnte er tun, und zwar die Informationen aus dem Internet sinnvoll nutzen.
Als Seth in die Zufahrt zur Smugglers Cove Blumenfarm einfuhr, bemerkte er das wilde Sommergras, das noch am Rande des Weges stand. Es war längst vertrocknet, aber er wusste, dass diese Gräser Zecken anzogen. Ebenso wie Socken, Beine, Füße und Zehen von Menschen. Wenn man nicht aufpasste, konnte man tagelang eine Zecke mit sich herumtragen, ohne es überhaupt zu merken.
Seth hatte ein gutes Gefühl dabei, etwas für die Cartwrights tun zu können. Es war deutlich zu sehen, dass sie sich große Sorgen um Hayleys Dad machten, und er hatte die Antwort und konnte ihnen sagen, was mit ihm los war. Er lächelte bei dem Gedanken, ihnen helfen zu können. Und er lächelte noch immer, als er vor dem Haus hielt und die Hupe des VW betätigte.
Hayley kam sofort aus dem Haus in den Regen gerannt. Sie wedelte mit den Armen, und als er aus dem Auto stieg, war das Erste, was sie sagte: »Pscht! Was soll der Krach? Spinnst du?«, bevor er auch nur die Wagentür schließen konnte. Sie klang ziemlich wütend.
»Reg dich ab, Hayley. Ich wollte sehen, wie es deinem Dad …«, begann Seth.
»Was soll mit meinem Dad sein? Mit Dad ist alles in Ordnung. Der Geländewagen hat bloß den Geist aufgegeben.«
»Darüber wollte ich mit euch sprechen. Denn als ich mit dem Wagen zurückgefahren bin, hat die Kupplung ganz normal funktioniert.«
»Na und? Was geht dich das an?« Hayleys Gesicht war puterrot, obwohl es regnete.
»Ich mein ja nur«, erwiderte Seth. »Können wir vielleicht reingehen? Oder wenigstens auf die Veranda?«
»Nein, können wir nicht.«
Er klappte den Kragen seines Flanellhemdes hoch und zog sich die Krempe seines Filzhutes tiefer ins Gesicht. Er sagte: »Okay. Wie du meinst. Aber hör mir trotzdem zu, Hayley. Ich habe im Internet nachgeguckt, weil dein Dad so komisch …«
»Lass meinen Dad endlich in Ruhe!« Ihre Stimme wurde lauter und Seth sah, dass sie nicht nur ein rotes Gesicht, sondern auch Tränen in den Augen hatte. Aber das schien sie noch wütender zu machen, denn sie ballte die Faust und sagte: »Was ist eigentlich mit dir los? Du musst doch in ein paar Tagen sowieso ins Gefängnis.«
»Hey, ich habe keine Ahnung, wer mich am Cliff Motel gesehen haben will, aber selbst wenn ich dort war – was nicht heißen soll, dass ich’s wirklich war –, habe ich keine Ahnung, warum Becca King weggelaufen ist, klar?«
»Wovon sprichst du eigentlich?«
»Vom Sheriff, von wem sonst? Er hat mich vorhin beschuldigt …« Da musterte Seth sie etwas genauer und er erkannte, dass sie gerade komplett aneinander vorbeiredeten. »Wow. Saratoga Woods und Derric. Du hast also letztens nicht nur geblufft, was? Du hast das ernst gemeint, dass ich mich stellen soll …«
»Was hast du an dem Tag dort
Weitere Kostenlose Bücher