Whisper Island (01) - Sturmwarnung
gemacht?«
»Das geht dich einen Scheißdreck an.«
»Sag es mir!«
»Ich bin mit Gus laufen gegangen, okay? Und was hast du dort gemacht?«
»Was hattest du für Schuhe an? Deine Sandalen?«
Seth blieb der Mund offen stehen. Er klappte ihn wieder zu und sagte: »Was zum Teufel … Was sollen die Fragen, Hayley?«
»Jetzt trägst du sie nicht. Du hast sie gar nicht mehr angehabt.«
»Nein, weil es regnet. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist.«
»Du hast sie aber immer an. Hast du sie noch? Oder hast du sie verschenkt? Hast du sie Dylan Cooper gegeben?«
Seth fluchte innerlich. Sie war völlig verrückt geworden, und er war noch verrückter, dass er überhaupt hergekommen war. Was wollte er hier? Es war vorbei, vorbei, vorbei zwischen ihm und Hayley. Aber er konnte das nicht akzeptieren und klammerte sich an sie, an Hayley, an ihre Familie und an die Farm.
Sie sagte: »Jetzt sag schon! Becca King hat von den Sandalen gesprochen. Ich habe zwar keine Ahnung, was es zu bedeuten hat, aber irgendetwas weiß sie. Genau wie du. Und ich schwör’s dir, Seth, wenn du mir jetzt nicht …«
Seths Schädel fühlte sich an, als würde er gleich platzen. Er sank zurück in den Fahrersitz des VW und legte den Kopf in die Hände. Ihre Gedanken. Seine Gedanken. Anschuldigungen. Wahrheit. Es war, als würde jemand in seinem Gehirn einen Ballon aufblasen, und die Schmerzen waren unerträglich.
»Ja, klar«, war Hayleys Reaktion auf ihn. »Du hast ja so viel, worüber du nachdenken musst. An deiner Stelle würde ich als Erstes darüber nachdenken, warum du mich nicht endlich in Ruhe lässt, mich und meine ganze Familie. Was willst du eigentlich? Du kannst nicht einfach die Schule abbrechen und deinen Abschluss in den Wind schießen und dann auch noch eifersüchtig sein und jemanden angreifen, bloß weil er mein Freund ist und mich geküsst hat und ich ihn auch geküsst habe und es mir gefallen hat. Hast du gehört? Es hat mir gefallen. Und dann lässt du dir von Becca King helfen, deinen fiesen Plan zu …«
Seth sprang auf und hielt Hayley den Mund zu. Er schrie: »Hör endlich auf! Wie soll ich dabei denken?«
Sie riss sich los. »Ganz genau. Du kannst nämlich gar nicht denken.«
Da ging die Haustür auf und Mrs Cartwright trat hinaus. Sie schlang die Arme um sich, wegen der Kälte und des Regens, und rief: »Ihr müsst endlich aus dem Regen raus. Was macht ihr da eigentlich?«
»Nichts«, erwiderte Hayley.
Mrs Cartwright lächelte zaghaft. »Danach sieht es mir aber nicht aus. Wie geht es dir, Seth?«
»Ganz gut. Danke«, presste Seth zwischen den Zähnen hervor. Dann fiel ihm wieder ein, warum er eigentlich hergekommen war. »Ich habe gesehen, dass es Mr Cartwright nicht so gut geht.«
Er erzählte Hayleys Mutter von der Borreliose, von dem Mann auf Whidbey Island, bei dem irrtümlich Multiple Sklerose festgestellt worden war, und von der Verbreitung von Borreliose auf der Insel allgemein. Während er sprach, zischte Hayley mehrmals seinen Namen und Mrs Cartwright fuhr sich mit der Hand an den Hals. Aber er konnte nicht aufhören, bis er alles gesagt hatte, und Hayley war ihm plötzlich völlig egal, um sie ging es hier nicht. Hier ging es darum, dass er endlich einmal etwas richtig machen konnte. Er erklärte, dass Mr Cartwright vielleicht nicht gemerkt hatte, dass er eine Zecke am Körper hatte, und dass er Gus oft Zecken aus dem Fell zupfte. Er fuhr fort, dass Borreliose gefährlich werden konnte, wenn man sie nicht behandelte, und …
Tränen liefen Mrs Cartwright die Wangen hinunter. »Danke, Seth. Danke, dass du gekommen bist, mein Lieber«, sagte sie. Dann ging sie ins Haus zurück.
Hayley sah Seth an. Sie war vom Regen durchnässt, aber ihr Gesicht war nicht mehr rot. Stattdessen hatte sie einen eigenartigen Gesichtsausdruck. Dann sagte sie mit einer völlig veränderten Stimme, ganz ruhig, so wie sie früher immer mit ihm gesprochen hatte: »Was ist an dem Tag im Wald passiert, Seth?«
Aber Seth konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten und er wusste nicht, warum Hayley auf einmal wieder so sprach wie früher. Also antwortete er: »Das spielt sowieso keine Rolle mehr.« Und damit stieg er in seinen Wagen und fuhr davon.
K APITEL 33
Von all den Dingen, die Seth belasteten, als er die Cartwright-Farm verließ, stand die Sache mit den Sandalen an erster Stelle. Wenn Becca sie Hayley gegenüber erwähnt hatte, dann hatte sie einen guten Grund dafür.
Er bereute es fast, die Sandalen gekauft zu
Weitere Kostenlose Bücher