Whisper Island (01) - Sturmwarnung
gespielt.«
Ralph sah sie an und lächelte. »Und du warst verdammt gut, Mädchen. Ich kenne niemanden, der so gut bluffen kann.«
Hayley holte ein Taschentuch aus ihrer Tasche und putzte sich die Nase. Ralph schaute auf den Parkplatz, wo außer Autos nichts zu sehen war, und es schien, als spreche er zu ihnen: »Ich bin bei der Farm vorbeigefahren. Und Brooke sagte mir, dass ihr alle hier seid.«
»Mom hat mich gebeten, mitzukommen. Und ich sollte auch besser wieder reingehen. Mein Dad ist … Er hat einen Arzttermin.« Hayley wusste, dass sie schon zu viel gesagt hatte, und sie wusste auch, dass sie eigentlich im Krankenhaus bei ihrer Mutter sein sollte. Aber hier mit Ralph Darrow auf der Bank zu sitzen, hatte etwas Tröstliches und sie verstand, warum Seth so gerne bei ihm war. Sie fragte, mehr aus Höflichkeit denn aus echtem Interesse: »Wie geht es Seth?«
Ralph strich seinen Schnurrbart glatt. »Na ja, ich muss sagen, Seth ist nicht so gut beisammen. Aber es wird besser. Obwohl er viele Sorgen hat.«
»Was denn für Sorgen?«
Ralph warf ihr einen Blick zu, als wollte er sagen: Hayley, das weißt du doch wohl am besten .
Hayley sagte nichts, aber sie rutschte unruhig auf der Bank hin und her. Sie musste jetzt wirklich zurück ins Krankenhaus, dachte sie.
Da begann Ralph: »Ich mische mich grundsätzlich nicht in die Herzensangelegenheiten zweier Menschen ein. Die Wege der Liebe sind unergründlich und ich betrachte mich selbst als Glückspilz, dass ich eine Frau so geliebt habe, dass ich den größten Teil meines Lebens mit ihr verheiratet war. Aber ich habe nachgedacht, und zwar lange und gründlich, und ich komme einfach nicht dahinter, Hayley.«
»Was meinen Sie, Mr Darrow?«
»Früher hast du mich Grandpa genannt. Hat mir besser gefallen.«
»Grandpa«, sagte sie.
»Danke. Darf ich fortfahren?«
»Na gut.«
»Gut. Ich komme nicht dahinter, warum du Seth nicht die Wahrheit sagst.«
»Das habe ich doch!«, rief Hayley aus. »Wenigstens habe ich es versucht. Er hat mich zusammen mit Derric gesehen, und er war es doch, der mich nicht zurückgerufen hat, als …«
»Ich rede nicht von Derric«, unterbrach Ralph sie. »Ich wusste gar nichts von ihm. Und ich sage doch: In Herzensangelegenheiten mische ich mich nicht ein, Hayley.«
»Aber Sie haben doch gefragt, warum ich …«
»Warum du ihm nicht die Wahrheit sagst. Ja, das habe ich dich gefragt. Und wenn wir Derric einmal beiseitelassen, kommst du sicher darauf, welche Wahrheit ich meine.«
Hayley blieb stumm. Sie wollte ihren Worten so gerne freien Lauf lassen. Aber in diesem Augenblick sah sie ihre Eltern aus dem Krankenhaus kommen und zwischen ihr und Ralph Darrow stand auf einmal eine Mauer: das Versprechen, zu schweigen, um den Stolz der Familie zu wahren.
Ihr Vater ging langsam und zog ein Bein nach, wie er es schon seit einiger Zeit tat, und ihre Mutter hatte den Arm um seine Hüfte gelegt, um ihn zu stützen. Hayley konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er nicht wollte, dass seine Frau ihm half. Aber dem Gesichtsausdruck ihrer Mutter entnahm sie, dass sie entschlossen war, es trotzdem zu tun.
Hayley presste die Lippen aufeinander, um zu verhindern, dass sie alles ausplapperte. Sie wollte so gerne mit jemandem sprechen. Aber seit Derric im Koma lag und Diana Kinsale erklärt hatte, dass die Sache mit Hayleys Vater bis zum bitteren Ende ausgestanden werden müsse, hatte Hayley keinen mehr zum Reden. Ihre Mutter oder ihr Vater würden jedenfalls nicht mit ihr darüber sprechen.
Ralph fragte ruhig: »Was soll ich tun, Hayley?«
Hayley riss den Blick von ihren Eltern los und schaute den alten Mann an. Sie sah, dass er ihren Dad beobachtete, und flüsterte: »Grandpa, es ist nie um Seth gegangen.«
Ralph nahm ihre Hand und hielt sie mit seinen beiden Händen fest, und das gab ihr viel Kraft und Trost. »Irgendwie habe ich das schon die ganze Zeit vermutet.«
»Aber bitte sagen Sie es ihm nicht«, bat sie.
»Natürlich nicht. Das musst du schon selbst tun.«
»Das geht nicht. Ich habe es versprochen.«
»Gut. Doch manchmal muss man Versprechen umgehen. Aber keiner kann dir sagen, wann der richtige Zeitpunkt dazu ist. Und ich kann es auch nicht. Aber er braucht dich.«
»Ich will nicht gebraucht werden.«
»Das würde ich an deiner Stelle nicht so endgültig sagen«, widersprach Ralph. »Was ich meine: Es ist an der Zeit, Seth aus seinem Schlamassel herauszuhelfen. Ich kann das nicht tun, denn mir fehlt der Überblick.
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