Whisper
schmutzig von der Arbeit und sein Ausdruck noch immer distanziert.
»Na, wach?«
Wieder konnte Noa nur nicken. Warum hörte dieses Gefühl nicht auf, warum wuchs es unter den Blicken der drei immer mehr an? Und warum tat es so furchtbar weh, jemanden zu lieben?
Selbst Gustaf schien zu bemerken, was in Noa vorging. Er räusperte sich, trat einen Schritt zurück und zwinkerte David zu.
»Geht ihr jungen Leute mal, ich kriege das schon alleine hin. Noa, du richtest deiner Frau Mutter aus, dass unser Dorffest übermorgen um sieben beginnt?«
»Ja«, sagte Noa. »Ja, das mach ich gern.«
David wischte sich die Hände an seinem T-shirt ab. Es war schwarz, sodass auch darauf keine Flecken zu sehen waren, und als Noa auf ihn zutrat, kam ihr die Mischung aus Motoröl und frischem Schweiß, die von ihm ausging, vor wie ein Parfüm, das sie einatmen wollte.
Wenn David die Gefühle bemerkte, die in Noa tobten, ließ er es sich nicht anmerken. Sein Gesicht war verschlossen, sein Ton unterkühlt, aber mit einer Kopfbewegung lud er sie ein ihm ins Haus zu folgen.
»Muss mich erst mal waschen, aber das mit dem Tapezieren wird heute nichts mehr«, sagte er im Hausflur. »Wenn der verdammte Bus wieder anspringt, muss ich in die Stadt, Getränke für das Dorffest besorgen.«
David führte Noa an der Tür zur Kneipe vorbei die Treppe hinauf und auf dem Weg nach oben gelang es ihr, sich ein wenig zu beruhigen. Krümels Gebrabbel war lauter geworden, es klang, als fordere er etwas, denn er wiederholte immer wieder dieselben monotonen Klangfolgen.
David zeigte auf eine weitere Treppe, eher eine Stiege, die noch höher führte. »Da oben ist mein Zimmer. Warte da, ich komme gleich nach.« Mit diesen Worten verschwand er hinter einer Badezimmertür.
Als Noa auf die Stiege zuging, entdeckte sie zwei weitere Türen am Ende des Flurs, von denen die eine verschlossen, die andere einen Spalt weit offen war. Unschlüssig machte sie ein paar Schritte darauf zu und wandte sich mehrmals um, bis sie dicht vor der Tür stand. Dahinter lag eine Schlafkammer, klein, spartanisch, mit zwei Einzelbetten, in ihrer Mitte ein Nachttisch. Darauf stand die Bibel und daneben eine kleine Blumenvase mit einer gelben Nelke. Über dem Nachttisch an der Wand hing ein gerahmtes Stickbild. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen , stand darauf. Auf dem linken Bett lag ein gestreifter Schlafanzug, auf dem Kopfkissen des rechten, ordentlich zusammengefaltet, ein schneeweißes Spitzennachthemd.
Plötzlich runzelte Noa die Stirn. Wieso eigentlich ein Doppelschlafzimmer? Waren Marie und Gustaf doch ein Paar?
»Hallo Noa.« Die sanfte Stimme in ihrem Rücken jagte ihr einen solchen Schrecken ein, dass sie beinahe aufgeschrien hätte. Jäh fuhr sie herum, machte einen Satz zurück und sah in die Augen von Marie. Davids Mutter war aus der anderen Tür gekommen, die jetzt sperrangelweit offen stand. Noa konnte gar nicht anders, als hineinsehen. Auch hier waren zwei Betten –ein großes mit Gittern und ein normales.
»Davids Zimmer ist oben«, sagte Marie lächelnd und fügte leicht errötend, wie zu einer Erklärung verpflichtet, hinzu: »Hier unten schlafen Karl und ich – und Esther und Gustaf.« Noa war so peinlich berührt, als hätte sie Davids Mutter in ihrer intimsten Sphäre überrascht. Dass Marie mit ihrem kranken Kind ein Zimmer teilte, war verständlich – aber Esther und Gustaf in einem Zimmer?
In der Küche schepperte etwas und Marie entschuldigte sich hastig. Noa schlich nach oben, die Stufen der Stiege knarrten unter ihren Füßen und noch immer pulsierte der Schrecken über Marie, die sie ertappt hatte, in ihren Adern.
Davids Zimmer war winzig und schlicht. Ein schmales Bett unter der Dachschräge, zwei Poster von Kometen an den Wänden, drei hüfthohe Stapel Bücher neben dem Bett, auf dem Boden ein Discplayer mit mehreren CDs, auf dem Schreibtisch ein alter Computer und darunter ein Drucker, ein klappriges, aber wohl noch funktionstüchtiges Ding.
Ein Blick auf die Papiere auf dem Schreibtisch zeigte ihr, dass sich David eine Liste von Universitäten aus dem Internet ausgedruckt hatte. Die Berliner Uni war auch dabei, aber bevor sie wieder beim Herumschnüffeln ertappt würde, suchte Noa sich lieber einen neutralen Platz zum Sitzen. Da der Stuhl mit Zeitungen belegt war, blieb dafür nur das Bett. Auf der blauen Decke lag ein weißes T-shirt und Noa widerstand dem Impuls, es aufzuheben und an ihr Gesicht zu
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