Whisper
Herzbuben und legt los! Katharina Thalis zu Ehren spielen wir jetzt den englischen Hit Tears in Heaven .
Gilbert seufzte. »Oje, Kat, was tust du da?«, flüsterte er mehr zu sich selbst. Dem Pfarrer nickte er höflich zu, dann wandte er sich an Noa. »Ich glaube, ich geh mal nachsehen. Kat kommt mir schon seit heute Nachmittag etwas seltsam vor.«
Noa folgte Gilbert ins Zelt. Nur der Gitarist spielte jetzt und der Sänger sang in erstaunlich gutem Englisch die Zeilen, die Eric Clapton damals nach dem Tod seines Sohnes geschrieben und zu einem Lied komponiert hatte.
Would you know my name if I saw you in heaven?
Would you feel the same if I saw you in heaven?
I must be strong and carry on
Cause I know I don’t belong
Here in heaven .
Es tanzten nur wenige Paare, die meisten standen am Rand, die Blicke jetzt offen auf Kat gerichtet. Mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck zog sie Gustaf auf die Tanzfläche. Sie schlang ihre Arme um ihn und setzte sich langsam zum Takt der Musik in Bewegung. Der Wirt geriet ins Taumeln, aber Kat hielt ihn fest im Griff, schmiegte ihren Kopf an seine Schulter und drehte ihn langsam mit sich im Kreis.
Einige der Zuschauer johlten und David hielt beim Zapfen des Bieres inne. Noa konnte sehen, wie er durch die Zähne pfiff, wobei sein Gesichtsausdruck erst dann wütend wurde. Die Falte auf seiner Stirn verwandelte sich in eine tiefe Furche. Neben ihm stand Esther und auch Marie kam jetzt an den Tresen, mit ihrem leeren Tablett. Einer der Männer packte sie grob an der Schulter. Er hatte Noa den Rücken zugedreht, aber als er sich Marie zuwandte, erkannte Noa, dass es Thomas Kord war. Er begann auf Davids Mutter einzureden, sein Mund war dicht an ihrem Ohr. Noa konnte natürlich nicht verstehen, was er sagte, aber es schien nichts Gutes zu sein, denn Maries Gesicht sah wie versteinert aus. Als Kord innehielt, drückte Marie ihm etwas in die Hand, irgendein Papier, einen Zettel oder vielleicht auch einen Geldschein, Noa konnte es nicht genau erkennen. Sie sah nur, wie der Schlachter sich mit einem verächtlichen Gesicht von Marie abwandte – und dann glitt sein Blick wie magisch angezogen zum Zelteingang. Robert war ins Zelt gekommen. Er ging geradewegs auf die Tanzfläche zu und ein Raunen ging durch die Menge der Dörfler, die jetzt wie Zuschauer einer Privatvorstellung vor der Bretterbühne standen. Ohne ein Wort zu sagen, packte Robert Kat am Arm, zog sie grob von Gustaf weg und zerrte sie mit sich nach drau-ßen.
Der Sänger verstummte, im Zelt war es totenstill und auf dem Gesicht von Gustaf, das feuerrot geworden war, lag glühender Hass.
ZWEIUNDZWANZIG
Nackt ausgestreckt, liege ich vor ihm auf dem Sofa. Das Kerzenlicht malt flackernde Schatten auf sein Gesicht, auf seine Augen, die vor Verlangen glühen. Es fällt mir nicht schwer, stillzuliegen. Ich schaue ihn an, während ich vor seinen Augen neu entstehe, Faser für Faser, Pinselstrich für Pinselstrich.
Eliza, 13. August 1975
K at war nicht wiedergekommen.
Es war Mittag, Noa saß mit Gilbert unter dem Walnussbaum im Garten und frühstückte, beide waren schweigsam, noch immer betroffen von dem, was gestern Abend geschehen war. Sie waren gegangen, gleich nach Kat und Robert, geduckt unter den Blicken, die ihnen folgten. Noa hatte sich nicht mehr getraut auf David zuzugehen. Seine starre, fassungslose Miene hatte sie auf Abstand gehalten. Auch dafür verabscheute sie Kat. Und dann dieser hasserfüllte Ausdruck auf Gustafs Gesicht. Diese Totenstille, als Robert in das Zelt gekommen war. Immer wieder spielte Noa mit dem Gedanken, ihr Herz bei Gilbert auszuschütten, ihm zu erzählen, was sie wusste – und was sie nicht wusste, aber sie wagte es nicht.
Auch über Kat sprachen sie nicht.
Am Nachmittag kam David. Er sah blass aus und seine Augen waren dunkel vor Müdigkeit. Er schien erleichtert zu sein, dass Kat nicht da war, und Gilbert machte ein Gesicht, als wollte er sich für Kats Verhalten entschuldigen.
Gemeinsam machten sie sich daran, Gilberts Zimmer zu streichen, räumten die Bücher in die Küche, rückten das Bett zur Seite und arbeiteten bis zum Abend, froh, etwas tun zu können, das zu einem Ergebnis führen würde. Nur einmal, als Gilbert sich einen Yogitee kochte, sprach Noa David auf den gestrigen Abend an, auf den Ausdruck auf Gustafs Gesicht, auf die Stille im Festzelt, die auf Robert gerichteten Blicke. Aber David konnte sich ebenso wenig einen Reim darauf machen wie Noa. Es habe Gemurmel
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