Whisper
Gustafs Worte, dass am Morgen des Dorffestes auf mehreren Höfen geschlachtet wurde. Aber auf den Feldwegen verlor sich der Geruch und eine träge Stille breitete sich aus. Als das Dorf Noa von einem hohen, mit gelben und lila Wiesenblumen bewachsenen Hügel aus zu Füßen lag, erschien es ihr so friedlich und sanft, dass eine ganz eigenartige Sehnsucht in ihr aufstieg. Sie dachte daran, dass das Schreckliche geringer wurde, wenn man es teilte, und das Schöne größer. Und sie wünschte, David wäre hier, damit sie es ihm sagen könnte.
Zum Dorffest gingen sie zu dritt. Gilbert trug Jeans und T-shirt, Noa ein einfaches Sommerkleid aus dunkellila T-shirt-Stoff. Kat hatte sich einen kurzen Rock aus rostrotem Leder angezogen, darüber eine Art Piratenhemd, schwarz, mit breiten Ärmeln, und ihre roten Locken hatte sie zu dicken Zöpfen geflochten. Auf ihrem Gesicht lag ein entschlossener Trotz und Noa musste an ihr Gespräch mit Robert denken. Kat hatte kein Wort darüber verloren, war aber, nachdem Noa von ihrem Spaziergang zurückgekehrt war, ungewöhnlich still gewesen.
Die Kapelle spielte schon, laute Umtata-Musik. Noa hörte Blasinstrumente, Schlagzeug, eine Gitarre und die Stimme eines jungen Sängers. Das zu den Seiten hin geöffnete Bierzelt, aus dem die Musik drang, war zum Bersten gefüllt. Ein Stück weiter stand ein Feuerwehrwagen, darum herum die Dorffeuerwehr, jüngere und ältere Männer, alle in ihren blauen Anzü-gen, viele sogar noch mit Helmen auf dem Kopf. Auf einem riesigen Sprungpolster, das aussah wie ein Trampolin, hüpften Kinder herum, lachten und schubsten sich.
Noa hatte nicht gewusst, dass ein so winziges Dorf eine eigene Feuerwehr haben könnte, aber Gilbert erzählte ihr, dass er vor ein paar Tagen an der Wache im Unterdorf vorbeigegangen sei. »Soweit ich weiß, hat heutzutage so ziemlich jeder Ort eine eigene Feuerwehr«, sagte er, »und diese Sprungdinger …« Gilbert zeigte auf das trampolinartige Gerät, auf dem einer der Jungen gerade einen Rückwärtssalto schlug. »Diese Sprungdinger sind genial. Ich habe in Berlin mal einen Selbstmörder gesehen, einen jungen Kerl, der sich vom Dach stürzen wollte. Es war grauenhaft, ich geriet in eine solche Panik, dass ich mich nicht rühren konnte. Zum Glück war jemand von den Umstehenden geistesgegenwärtiger und rief die Feuerwehr. Die stellten so ein Teil dann unter dem Haus auf. Unglaublich. Es dauert ganze fünf Sekunden, bis sich so ein Sprungpolster aufbläst, und eine Rettungshöhe hat es von 16 Metern. Das muss ein Gefühl sein, was?«
Noa schüttelte angewidert den Kopf. Sie legte nicht den geringsten Wert darauf, es auszuprobieren. »Und der Selbstmörder? Ich meine, ist er gesprungen?«
Gilbert grinste. »Das nicht, aber er hat das Sprungtuch für was anderes in Anspruch genommen. Ob du’s glaubst oder nicht, der Kerl hat tatsächlich vom Dach gepinkelt. Aber da hat’s mir gereicht, da bin ich weg.« Gilbert hakte sich bei Noa ein. »Mein lieber Herr Gesangsverein, hier ist ja richtig was los.«
Ja, da hatte Gilbert Recht. Vor dem Zelt standen lange Partytische mit Unmengen Würsten aus Schweinefleisch und auf den Bänken saßen die Dörfler, mit riesigen Bierhumpen und Schnapsgläsern, die sie leerten, als wäre es nichts. Kinder spielten Fangen auf der Wiese, unten am Bach verprügelte ein dicker Junge gerade einen Kleinen, dem es schließlich gelang, sich freizumachen. Wie am Spieß brüllend kam er zu seiner Mutter gelaufen, ließ sich die Nase putzen und rannte wieder fort, zu den anderen.
Obwohl es erst kurz nach acht war, schien die Hälfte der Anwesenden bereits betrunken. Noa erinnerte sich an den Geruch von Schnaps am Morgen im Hof, wahrscheinlich hatten viele schon am Morgen mit dem Trinken begonnen.
Marie bediente die Gäste an den Tischen, sie trug eine Bauerntracht, ein dunkelblaues Kleid mit roten Blumen und einer weißen Schürze. Ihr blondes Haar hatte sie zu Kränzen am Hinterkopf aufgesteckt. Angestrengt sah sie aus und die Schatten unter ihren Augen kamen Noa heute noch dunkler vor als sonst.
David und Gustaf standen im Bierzelt hinter dem Tresen, und als sich Noa mit Kat einen Weg durch die Menge bahnte, nickte David ihr zu. Im Zelt herrschte eine Affenhitze und auf Davids Stirn stand der Schweiß. Wo Krümel wohl war? Bei Oma Esther in der Kneipe? Nein, Esther war hier, sie kam gerade hinter Davids Rücken hervor, tupfte ihm mit einem Taschentuch die Stirn und ihr strenges Gesicht bekam einen
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