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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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und
höher züngeln sie, bis die Nacht explodiert. Das Licht hinterlässt grelle
Flecken auf meiner Netzhaut, als sich der Feuerball entfaltet, eine Blume,
deren Blütenblätter sich aufspreizen, weiter … immer weiter … und dann
zurücksinken an den Ort ihrer Entstehung.
    Mein Gesicht ist trocken. Die Haut spannt. Durch die weißen Flecken
erscheint alles wie altes Filmmaterial, das schmilzt und mir nur ein
verschwommenes Bild der Umgebung übermittelt. Starre Körper. Bewegte Körper.
    Am Rande meines Blickfelds kriecht etwas. Mein Kopf schnellt herum,
doch die Silhouette verschwimmt vor meinen Augen, als ich sie festzuhalten
versuche. Mein Körper versteift sich, wird eiskalt. Im Grunde weiß ich, was ich
da eben gesehen habe. Der Schweizer entkommt. Er hat das alles hier überstanden
und sucht jetzt das Weite.
    Aber das kann nicht sein. Er lag auf einer Pritsche, dem Tod näher
als dem Leben. Was ich eben sah, muss ein Trugbild sein. Oder sein Geist.
    Die Hand, die ich umklammert halte, erschlafft. Meine Finger
begreifen vor mir, was geschehen ist.
    Yannis Kopf sinkt auf die zertrümmerte Brust. Kein Gesang der Welt
kann meinen kleinen Freund zurückbringen. Ein kalter Nebel sickert in meinen
Körper. Irgendwann wird die Wut kommen, aber im Moment muss ich ruhig bleiben,
dieses Lager hinter mir lassen und mich weiter nach Norden durchschlagen.
    Aber zuvor will ich mir Gewissheit verschaffen.
    Lisas Geist folgt mir zur Baracke. Meine Vision war ein grausamer
Trick, den mir die Nacht und das Trauma und meine Angst spielten, denn der
Schweizer liegt noch da, mit geschlossenen Augen, harmlos und freundlich in
seiner Schwäche. Aber etwas hat sich verändert. Seine Narbe ist kein roter,
frischer Wulst, sondern der glatte, blasse Strich einer längst verheilten
Wunde.
    Aus neu wurde viel zu schnell alt. Das kann nicht
sein.
    Als ich diesmal das Kissen packe, bin ich zum Äußersten
entschlossen. All die Toten, all die Vernichtung, all die Verluste – und doch
wage ich zu behaupten, dass die Welt ohne dieses eine Leben besser dran wäre.
    Sein Körper spannt sich an, als er merkt, dass die Baumwollfasern
des Kissens die Sauerstoffzufuhr unterbrechen. Die Fingernägel krallen sich in
die Handflächen. Einen Moment lang kämpft er, dann gibt er auf. Der letzte
Schalter in seinem Leben ist umgelegt.
    Lichter aus.
    Ende.
    Der Boden unter meinen Stiefeln beginnt erneut zu schwanken. Nichts
wie weg von hier. Es bleibt keine Zeit, den Schweizer gründlich zu untersuchen.
Ich spüre keinen Puls. Das muss reichen.
    Ich sage mir vor, dass ich es für Lisa und die anderen getan habe,
aber hinter dieser Lüge lauert die Wahrheit: Das war keine Rache. Das war eine
Lebensversicherung.
    Ich habe einen Menschen umgebracht. Ich habe einen Menschen
umgebracht, und es macht mir nichts aus.
    Mit ruhiger Entschlossenheit schiebe ich die Arme durch die Riemen
des Rucksacks und bahne mir einen Weg durch die Toten und Sterbenden. Es sind
genug Helfer da, die sich um die Lebenden kümmern. Ich werde hier nicht
unbedingt gebraucht. Mein Platz ist anderswo.
    Ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen und versuche mir
einzureden, dass er nicht feucht geworden ist.
    Ich habe einen Menschen umgebracht, und es macht mir nichts aus.



ACHTZEHN
    ZEIT: DAMALS
    Morris sorgt ständig dafür, dass ich Nick begegne. Ich
weiß, dass sie das absichtlich macht. Sie hegt diese wirre Vorstellung, dass
Liebe und Romantik auch in einer sterbenden Welt gedeihen können. Als seien die
Toten eine Art emotionaler Kompost. Wenn ich sie jedoch darauf anspreche,
streitet sie alles ab.
    Â»Alle laden ihre Probleme bei ihm ab, aber er hat niemanden, mit dem
er reden kann. Das ist doch irgendwo ungerecht, oder?«
    Ich stemme beide Hände auf ihre Schreibtischplatte und beuge mich
weit vor. Hinter dieser Pose der Entrüstung verberge ich meine wahren Gefühle.
    Â»Dann bestimmst du mich also zu seiner – was? – Therapeutin? Du
lieber Himmel, ich war nur eine Putzfrau!«
    Â»Gebäudetechnikerin.«
    Â»Putzfrau. Und ich verstehe nicht das Mindeste von Therapien.«
    Sie zieht eine Schulter hoch. Es ist eine feminine Geste in einer geschlechtsneutralen
Uniform.
    Â»Du hast immerhin eine Therapie mitgemacht.«
    Â»Ich bin auch schon mal in einem Flugzeug gesessen. Das heißt noch
lange nicht, dass ich den Steuerknüppel bedienen

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