White Horse
aufgetragen hat!«
Am liebsten würde ich aufstehen und gehen.
»Ich glaube, du bist wie ich.«
»Sprich weiter.«
Seine Worte ermutigen mich; meine Gedanken nehmen Fahrt auf, und
meine Zunge ist nicht mehr zu stoppen.
»Du funktionierst quasi per Autopilot, wenn du tust, was getan
werden muss. Ein Teil von dir ist in diesem Krieg kaputtgegangen, weil du ein
Heiler und kein Killer bist. Der Befehl zum Töten gab dir das Gefühl, ein Stück
Dreck zu sein. Dann ⦠kamst du heim, in diese Hölle, und warst erneut vom Tod
umgeben, nur diesmal in einem viel schlimmeren und persönlicheren AusmaÃ, weil
er dir all jene nahm, die dir nahestanden. Ich glaube, du begehrst mich, weil
ich von vorher bin, aus der Zeit, als alles noch
normal war. Ich erinnere dich an die Vergangenheit. Es geht dir nicht um mich,
sondern um die Erinnerungen, die ich wachrufe. Ich gehöre zu jener Welt vor der
Katastrophe. Aber jedes âºwirâ¹, das hätte sein können, gehört ebenfalls zu jener
Welt.«
Bei dieser Feststellung versagt mir die Stimme, und so sitze ich
stumm da, beobachte ihn und warte. Zunächst kommt nichts, aber ich sehe, dass
er über meine Worte nachdenkt, und befürchte halb, er könnte bestätigen, dass
er sich nicht nach mir sehnt, sondern nach der Vergangenheit und dass er in mir
nur einen schwachen Ersatz sieht, weil ich ein Ãberbleibsel jener Zeit bin.
»WeiÃt du, was ich mir jetzt wünsche?«
Tausend Bilder schieÃen mir durch den Kopf, und sie haben alle mit
zerknüllten Laken und schweiÃbedeckten Körpern zu tun.
Als er selbstgefällig feixt, vermag ich nicht zu erkennen, ob er
ohne Erlaubnis in meinem Kopf herumschnüffelt oder ob er an meiner Miene
ablesen kann, wie sehr ich mich zu ihm hingezogen fühle.
»Kentucky Fried Chicken.«
»KFC? Die Restaurantkette?«
»Nein. Kentucky Fried Chicken auf altmodische Art. So wie ich sie
aus meiner Kindheit kenne. Mit knuspriger Haut, etwas SoÃe und Krautsalat.«
»Aus der Zeit, als Fastfood noch richtiges Essen war.«
»Du sagst es.«
»Und ich könnte für Pizza einen Mord begehen.« Das geht mir so
leicht von den Lippen, dass mir nicht sofort bewusst ist, was ich da gesagt
habe. »Mist. Das war nicht gerade feinfühlig.«
»Galgenhumor, Baby. Es ist gut, so was rauszulassen.«
Seit wann, frage ich mich, heiÃe ich nicht mehr Zoe ,
sondern Baby ? »Aber â¦Â«
»Komm her!« Er klopft einladend auf seine Knie.
»Das wäre höchst unprofessionell. Immerhin hat man mich zu deiner
Therapeutin ernannt.«
»Ja, und? Wo liegt das Problem?«
»Ich könnte dich lieben, und dann gehst du fort, oder du könntest
mich lieben, und dann erwischt mich White Horse, und ich muss sterben. Darin
liegt das Problem. Wir sind schon genug verletzt. Wir alle.«
Ich wende den Blick ab, weil ich zu viel gesagt habe. Ich hatte die
Absicht, ein winzig kleines Fenster zu schlieÃen, und habe stattdessen eine Tür
weit aufgerissen.
Nick sagt nichts. Seine Stiefel rutschen von der Schreibtischkante.
Er steht auf und umrundet die Barriere zwischen uns.
»Du klingst wie Oprah.«
»Tot. Vor einem Monat gestorben.« Morris schieÃt durch die offene Tür
herein und bleibt unvermittelt stehen. »Störe ich?«
Ich sehe Nick an. Er wirft mir einen prüfenden Blick zu. Wartet auf
mein Stichwort.
»Ja«, sage ich langsam. »Irgendwie schon.«
»Na, endlich«, sagt sie.
Er nimmt mich in die Arme, und ich bin für immer in ihm verloren,
auch wenn ich ihm das nicht verrate.
Wir lieben uns, während die Welt untergeht, aber das macht
unsere Gefühle nicht weniger echt. Die Liebe ist da. In den Händen, die meine
Hüften hart gegen seinen Körper pressen. In den geflüsterten Wünschen, die das
Feuer in mir lodern lassen. In seinen leuchtenden Augen, als er begreift, dass
ich all meine Schutzwälle für ihn und nur für ihn eingerissen habe.
Die Liebe füllt alle leeren Nischen in unseren Seelen.
»Ich muss fort«, flüstert Nick eines Nachts im Dunkel.
»Was meinst du damit?« Ich stütze mich auf einen Ellbogen und bemühe
mich trotz nackter Brüste und wild zerzaustem Haar um Ernsthaftigkeit.
»Ich muss gehen.«
»Du ⦠du kannst doch nicht einfach so gehen.«
»Selbst wenn die Chance gering ist, dass meine Eltern noch leben â
ich
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