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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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ist, legt sich schwer auf meine
Schultern.
    Da draußen hält noch jemand die Luft an, atmet im gleichen Rhythmus
aus wie ich. Es könnte Einbildung sein – oder auch nicht. Wie ich diese Welt
hasse, in der mich unentwegt Dinge verfolgen, die ich fast sehen kann, Dinge,
die sich an den Rändern meines Blickfelds verbergen. Früher, es ist noch nicht
so lange her, war man vor Angriffen einigermaßen sicher, wenn man seine
Handtasche festhielt, dunkle Gassen mied, und nachts die Türen und Fenster
verriegelte.
    Meine Hand legt sich fest um den Strick, der uns bindet. Esmeralda
wirft trotzig den Kopf zurück und schnaubt herausfordernd. Es gefällt ihr
überhaupt nicht, dass ich sie vom Pfad wegzerre und in den Olivenhain führe. Es
muss ihr nicht gefallen. Sie soll mir einfach folgen und Rückendeckung geben.
    Die Sträucher und das Unterholz bilden seit Langem eine sperrige
Hecke und teilen sich nur zögernd, als ich sie mit den Stiefeln niedertrample
und auseinanderschiebe. Schließlich gelangen wir zu einem widerwilligen
Kompromiss: Sie geben einen schmalen Spalt frei, durch den wir uns mit Mühe und
Not zwängen können, und schnellen unmittelbar danach wieder in ihre frühere
Position zurück. Auf diese Weise wahren sie ihre Würde als Hüter der Wildnis,
während Esmeralda und ich uns einen mehr oder weniger sicheren Durchgang
erkämpfen.
    Der silbergrüne Wall schluckt uns ganz und gar und reicht mir ein
zweischneidiges Schwert, das ich annehmen muss, ob ich will oder nicht. An der
einen scharf geschliffenen Kante tanzt jenes Wesen entlang, das meine Atemzüge
nachäfft; die andere berührt das Unbekannte. Wähle das Übel, dem du nicht ins
Maul geschaut hast. Oder bleib auf dem gewohnten Weg. Vielleicht bringt er die
Rettung.
    Nun, die Entscheidung ist gefallen. Der Esel zerrt einen Esel hinter
sich her. Plötzlich kommt mir das alles lächerlich vor. Und irreal. Eine
Tragödie stapelt sich auf die andere, bis sich vor mir ein schwankender Turm
aus schwarzen Blöcken erhebt. Und je länger ich sie betrachte, desto irrealer erscheinen
sie mir.
    Â»Wenn ich verrückt bin, weiß ich dann, dass ich verrückt bin, oder
streite ich das ab?«
    Esmeralda erwidert nichts. Sie trottet ausdruckslos hinter mir her.
Wir bewegen uns leise, wenn auch nicht lautlos, und ich hoffe, dass die
Geräusche der Wildnis ausreichen, um uns zu verbergen.
    Wir ziehen dahin, und ich halte Ausschau nach ihr, der Frau mit den
Schlangenhaaren, die hier in den Wäldern leben soll.
    ZEIT: DAMALS
    Nick lacht, als ich ihm anbiete: »Wenn du jemanden zum
Reden brauchst, kannst du dich jederzeit an mich wenden.«
    Â»Hat dich Morris hergeschickt, weil sie denkt, dass ich eine
Therapie nötig habe?«
    Â»Ja.«
    Â»Aber du wolltest den Job nicht übernehmen?«
    Â»Nein.«
    Â»Warum nicht?«
    Ich schaue zu ihm auf und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.
»Analysierst du mich jetzt?«
    Er wirft mir einen Blick zu, der vielleicht zu einem Rendezvous in
einer schummrig beleuchteten Bar, aber nicht in dieses Behelfskrankenhaus
passt.
    Â»Warum nicht?«
    Ich schüttle lachend den Kopf. »Vergiss es! Ich will nicht, dass du
mich zerpflückst wie ein Hühnerbein.«
    Â»Warum nicht?«
    Ja, warum eigentlich nicht? Weil ich nicht möchte, dass er in meinem
Innern herumstöbert und dabei ein paar hinter Schloss und Riegel verwahrte
Dinge ans Licht zerrt. Albernheiten wie die Anziehungskraft, die er auf mich
ausübt.
    Â»Weil … weil es leichter ist, alles zusammenzuhalten. Weil ich den
Horror nüchterner betrachten kann, wenn ich ihn hübsch verpacke und in einer
Schachtel mit der Aufschrift Nicht Anfassen verstaue.
Weil bestimmt nichts Gutes dabei herauskäme, wenn jemand darin herumstochern
würde.«
    Er schwingt die Beine hoch und legt die Stiefelabsätze auf die Kante
seines Schreibtisches. Ich sitze ihm in der gleichen Haltung gegenüber. Einen
Moment lang wirken wir wie zwei Freunde, die einfach gut miteinander
klarkommen, und das trifft vielleicht auf einen Teil von mir zu, aber es gibt
andere Teile, die sich unbehaglich in seiner Nähe fühlen.
    Er verschränkt die Hände im Nacken und rutscht noch tiefer in seinen
Sessel. Dabei wandern seine Augen von meinem Hals zum Nabel und zurück, bis
sich unsere Blicke treffen. »Dann analysiere mich! Zerlege mich! Erledige, was
Morris dir

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