White Horse
findet mehr als
genug. Mir ist dieser Luxus nicht vergönnt. Die meisten Gräser und sonstigen
Pflanzen sind mir fremd, und ich muss nicht nur mich versorgen.
Eigentlich sollte ich mich verborgen halten.
Aber mein Kind braucht Nahrung.
Ich habe keine Wahl.
»Siehst du das?« Ich spreche von einem Haus mit einer blauen
Eingangstür, die sich in die schmale Fassade zwängt. »Ich gehe da hinein. Und
du kommst mit.«
Meine Wegbegleiterin sagt nichts. Kaut weiter an irgendwelchen
Stängeln herum.
»Nein, nein, du musst mitkommen«, beharre ich. »Für alle Fälle.«
Ein sanfter Spuckeregen geht auf mich nieder, als sie schnaubend den
Kopf hebt, aber sie folgt mir mit einem kleinen Höflichkeitsabstand.
Die Asphaltkruste unter meinen Stiefeln ist hart. An der StraÃenecke
schaue ich aus alter Gewohnheit in beide Richtungen. Obwohl ich jetzt nicht dem
Verkehr, sondern Ãrger auszuweichen versuche. Aber mal ehrlich, was könnte ich
tun, wenn es ein Problem gäbe? Ich könnte in die Wälder zurückweichen oder die
Flucht nach vorn antreten und mich in einem der Gebäude verschanzen.
Wenig Spielraum.
Kleine Steine bröckeln von der StraÃendecke, als ich mit der
Stiefelspitze gegen den harten Teer stoÃe.
Denk nach, Zoe. Denk nach.
Die Schwangerschaft bohrt Löcher in meine Hirnmasse und macht es den
Gedanken schwerer, sich zu verfestigen. In den wild wuchernden Olivenhainen
wäre ich waffenlos. Mein einziger echter Vorteil besteht darin, unauffällig zu
bleiben. Also überquere ich die StraÃe, eigne mir in der Backstube den
Brotschieber an und nehme aus der Metzgerei ein Messer mit glänzender Schneide
mit. Von nun an werde ich besser schlafen, weil ich wieder bewaffnet bin.
Die blaue Tür schwingt fast von selbst auf.
Stille, vermischt mit dem Geruch von alter Milch und noch älterem
Käse, strömt in die Gasse. Das allgegenwärtige Halbdunkel greift nach uns und
zieht uns nach drinnen. Die Tür fällt hinter uns ins Schloss. Ihr Klicken ist
ein Totengeläut.
Was soll der Unsinn, Zoe?
Wir betreten eine Art Lebensmittelgeschäft. Darauf hatte ich
gehofft. Es besitzt wenig Ãhnlichkeit mit einem amerikanischen Supermarkt. Der
Betonboden ist dunkel und hart. Die Waren stapeln sich hoch droben auf
Regalbrettern. Eine dicke Staubschicht dämpft alle Farben zu einem tristen
Grau.
Mir stockt der Atem. Meine Lungen sträuben sich gegen den
säuerlichen Geruch. Ich zwinge die schwammigen Organe, Sauerstoff aufzunehmen.
Im Moment bin ich dankbar, dass ich das erste Drittel meiner Schwangerschaft
hinter mir habe. Andernfalls würde ich jetzt am Boden knien und mich übergeben.
Ich nehme die Waren auf den Regalbrettern in Augenschein. Es sind Lebensmittel,
verarbeitet und verpackt und wahrscheinlich noch essbar. Wer immer behauptet
hat, Fertiggerichte seien ungesund, hat noch nicht gecampt, während die Welt
untergeht.
Das Zweitbeste an einem Lebensmittelgeschäft ist sein Vorrat an
Plastiktüten. Ich reiÃe ein Paket Haferflocken auf und schütte es für Esmeralda
auf den Boden, bevor ich nach einer Handvoll Tüten greife. Und ich entschuldige
mich jetzt schon für die Lasten, die ich ihr gleich aufbürden werde.
Es scheint ihr nichts auszumachen.
Und dann entdecke ich die Schokolade. Ich schmecke sie fast, die
süÃe, glatte Konsistenz, noch bevor ich die Verpackung aufreiÃe und mir eine
Rippe in den Mund schiebe. Meine Geschmacksknospen erschauern vor Vergnügen.
Gleich darauf spüre ich, wie mein Baby strampelt und Purzelbäume schlägt.
Lachend wickle ich noch eine Tafel â diesmal zwischen Waffelschichten gepresst â aus ihrer Folie. Ich hebe die Knusperwaffel mit den Zähnen ab und schlecke an
der Schokolade, bis meine Finger klebrig sind und mein Bauch wie nach einer
Riesenportion Junkfood spannt. Mein Körper vibriert, als der Blutzucker nach
oben schnellt. Ich bin Superwoman, die Lebensmittel und Delikatessen wie
Klopapier in Plastiktüten stopft.
Und dann hebt Esmeralda den Kopf von ihren Haferflocken und beginnt
unruhig mit den Hufen zu scharren.
Meine Muskeln erstarren. Sogar mein Baby hält ganz still. Flüchtig
schieÃt mir der Gedanke durch den Kopf, wie traurig es ist, dass mein Baby
keine Chance haben wird, normal zu leben, sich geborgen zu fühlen.
Das Wort schwebt mit dem Luftzug durch einen Spalt der blauen
Eingangstür. Monster.
Ein
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