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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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du, dass du Selbstgespräche führst?
    Â»Ja.«
    Gut, dass du den Unterschied erkennst.
    Â»Verschwinde.«
    Okay.
    Â»Nein, bleib bei mir.«
    Etwa eine Woche, nachdem er ganz nebenbei seine Erkrankung erwähnt
hatte, begann ich die Zeitungen nach Todesanzeigen zu durchforsten. Ich weiß,
ich hätte einfach den Hörer in die Hand nehmen und anrufen können. Die
Tatsachen leugnen oder ihnen ins Auge sehen; noch hatte ich mich nicht
entschieden. Nur – solange ich nichts in der Zeitung finde, ist er nicht tot.
Und wenn ich doch etwas fände, könnte ich die Fingerkuppen anfeuchten und über
das Papier reiben, bis die Wahrheit ausgelöscht war. Wenn dagegen das Telefon
bis in alle Ewigkeit klingelte und keiner ranging, käme ich nicht klar damit.
Es gäbe keine Möglichkeit, dieses Läuten auszublenden, das vom Tod eines
Menschen kündet.

    Jenseits der Tür wartet die Welt in ihren Grautönen. Ich lege
meiner düsteren Stimmung die Fesseln an und verlasse meine vier Wände, um sie
zu begrüßen. Als ich die Eingangshalle betrete, bleibe ich erschrocken stehen.
Zwei schwere Stiefel blockieren meinen Weg. Nick steckt in den unförmigen
Dingern.
    Â»Du bist nicht tot«, sage ich.
    Â»Ich bin nicht tot.«
    Â»Weshalb? Wie …?«
    Er lacht. »Sterben stand nicht auf meiner Liste.«
    Mein Lächeln kommt zögernd, bis es sich in ein Strahlen verwandelt.
»Was steht denn auf deiner Liste?«
    Â»Da steht: Nicht sterben. Hierherkommen. Und das hier.«
    Er zieht mich an sich, umfängt mein Gesicht mit beiden Händen und
wird meine ganze Welt. Das ist ein Kuss – vielleicht
der letzte, den wir erleben, und so verharren wir eine Ewigkeit eng
aneinandergeschmiegt, warm und sicher. Als er sich von mir löst, ist etwas
verloren. Ich glaube, es ist mein Herz.
    Â»Was steht sonst noch auf deiner Liste?«
    Â»Zoe …«
    Die Wärme auf meinen Lippen verflüchtigt sich zu schnell. Ich weiß,
was jetzt kommt. »Ich verstehe. Doch, ehrlich. Du musst in diesen Krieg ziehen.
Männer sind zum Heldentum geboren.«
    Â»Ich will nicht kämpfen«, sagt er. »Aber ich will, dass wir siegen.«
    Â»Ich weiß. Und ich bin froh, dass du hergekommen bist. Wenn du
jedoch da draußen stirbst, werde ich dich für immer hassen.«
    Â»Nein, das wirst du nicht«, widerspricht er und dreht sich um, bis
die Stiefelspitzen in Richtung Krieg weisen.
    Die Glastür schließt sich langsam hinter ihm. Meine Arme baumeln
nutzlos nach unten.

    Wie erwirkt man eine einstweilige Verfügung gegen Traurigkeit?

    Woche um Woche höre ich nichts. Dafür nimmt die Zahl der
Todesanzeigen drastisch zu. Nicht nur die Älteren, sondern auch viele junge
Leute erliegen einer Magen-Darm-Grippe, gegen die es kein Mittel gibt. Die
Medien bringen abwechselnd Fleisch aus großen Zuchtbetrieben, kontaminierte
Lebensmittel und illegale Einwanderer ins Spiel, aber im Grunde haben sie nicht
die geringste Ahnung. Und ich fühle mich in gewisser Weise erleichtert, denn
wie könnte eine solche Seuche von mir ausgegangen sein? Es wäre überheblich zu
glauben, dass ich so wichtig bin. Und doch sagt mir eine innere Stimme, dass
keine ihrer Vermutungen zutrifft. Niemand äußert den Verdacht, dass es irgendwo
in dieser Stadt einen mit Scherben und Knochen gefüllten Karton gibt, aus dem
unaufhaltsam der Tod sickert.
    Die Zeitungen veröffentlichen keine Listen mit Kriegstoten. Da das
Internet nicht mehr funktioniert, gibt es keine Datenbanken, die Anfragen
weiterleiten und Namen mit einem Kreuz oder der – heiß ersehnten – Bemerkung ohne Ergebnis ausspucken.
    Wir kehren zu den altmodischen Methoden zurück: Anschlagtafeln an
den Wänden von öffentlichen Gebäuden, umlagert von Menschen, die hoffen, sich
auf die Lippen beißen oder die Fäuste zwischen die Zähne schieben, Haarsträhnen
um die Finger drehen, nervöse und abergläubische Marotten entwickeln.
    Jenny und ich suchen jeden Abend die Bibliothek auf. Sie ist immer
da, an der Mittelsäule, in ihrem kirschroten Mantel, der für diese Jahreszeit
eigentlich zu warm ist. Auf eine Fremde würde sie vermutlich entspannt wirken –
eine gut aussehende junge Frau, deren dunkles Haar einen lebhaften Kontrast zu
dem roten Wollstoff bildet. Die Illusion hält an, bis ich nahe genug bin, um in
ihren Zügen zu lesen. Wir entstammen dem

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