White Horse
mit Fettpolstern, wenn ich nur ein paar Kekse zu viel
aÃ.
Ich muss mehr essen. Und nicht nur ich. Der Krieg und die Seuche
haben Fettleibigkeit zu einer Sehnsucht gemacht.
»Hey«, sage ich, um mein Kommen anzukündigen. »Willst du zur
Abwechslung mal was Positives hören?«
Sie schüttelt den Kopf. Starrt in die weite Leere, die wir hinter
uns gelassen haben.
»Es ist Land in Sicht. Im Moment nicht mehr als ein langer, dünner
Streifen, aber der Kapitän meint, dass die Küste beim Näherkommen ein
eindrucksvolles Spektakel bietet.«
Sie beugt die Knie. »Und was dann?«
»Wenn wir da sind?«
»Wie geht es weiter, wenn wir da sind?«
»Ich muss nach Norden.«
»Und ich?«
»Darüber haben wir bereits gesprochen. Du kannst mitkommen.«
»Aber wenn ich nicht will?«
Ich schlucke langsam. Lege mir die Worte auf meinem geistigen
Scrabble-Brett zurecht. Wenn ich sie falsch anordne, mache ich alles kaputt.
»Du bist deine eigene Herrin. Du musst selbst entscheiden, was das
Richtige für dich ist.«
»Ja, das werde ich.«
Sie beginnt als ferner Fleck, die Insel Griechenland, und
schwillt stetig an, bis sie über den Wellen zu schaukeln scheint wie eine
gigantische Boje. Genau genommen ist Griechenland keine Insel; das ist nur ein
malerisches Wort, eingefügt, um die Texte eines Popsongs besser klingen zu
lassen.
»Die untere Hälfte, die Peloponnes, ist eine Insel, gemacht von
Menschen«, erklärt mir der Kapitän. »Vor hundert Jahre, vielleicht mehr, haben
sie das Land durchgeschnitten für Boote. Genau wie â¦Â« Sein Schnurrbart zuckt,
als er nach den richtigen Begriffen sucht.
»Der Panama-Kanal?«
Er schnippt mit den Fingern. »Der Panama-Kanal, ja.« Dann hebt er
eine seiner ledrigen Hände. »Der hier ganz eben. Kein Wupp-Wupp-Wupp.« Seine
Hand vollführt ein paar Hasensprünge, um das berühmte Schleusensystem des
Panama-Kanals nachzuahmen.
Ich lächele. Es fühlt sich gut an.
»Wie lange dauert es noch, bis wir da sind?«
»Hm.« Er hustet. »Nur paar Stunden.«
Ein paar Stunden. Mein Herz schlägt schneller.
ZEIT: DAMALS
Die neue Empfangsdame in der Eingangshalle verschwindet
zwei Wochen nach ihrer Ankunft. Ihr Faksimile ist bereits im Einsatz. »Guten
Tag, waskannichfürSietun?«, schnarrt sie in ihr Headset. Ein schwerer
Diamantring zieht ihre Hand nach unten. Irgendwo da drauÃen hat sie einen
Verlobten â wahrscheinlich im Krieg.
Droben im Waschraum haben sich die Frauen versammelt, aber diesmal
dreht sich ihr Gespräch nicht um Babys.
»Hast du schon gehört?«, sagt eine, als ich hereinkomme. »Cynthia
ist tot.«
Noch vor zwei Wochen war sie so glücklich. Und nun lebt sie nicht
mehr. Ich kannte sie kaum, aber jetzt zittern mir die Knie.
Am Nachmittag des gleichen Tages spricht mich ein junger Mann im Zug
an. Es sind nicht mehr viele Plätze besetzt, und deshalb fällt er auf wie ein
Blutfleck auf einer weiÃen Jeans. Er hat sich so tief in seinem grünen Pullover
vergraben, dass nur die Fingerspitzen aus den Ãrmeln schauen. Wirres, strohblondes
Haar, das schon länger keine Schere mehr gesehen hat, umrahmt einen runden
Kopf, der an einen Lolli erinnert. Er wirkt derart schmächtig, dass ihn nur die
schräg über den Oberkörper geschlungene Messenger Bag am Boden festzuhalten
scheint.
»Kann ich ⦠darf ich mich mit Ihnen unterhalten? Ich frage das, weil
es sich nicht gehört, dass man die Leute einfach anquatscht.«
Ich schaue zu ihm auf und versuche, freundlich zu bleiben, obwohl er
mitten in meine sorgenvollen Gedanken platzt. Er redet weiter, noch bevor ich
meine Einwilligung gebe â ein erster Hinweis, dass es besser wäre, ihn nicht
weiter zu beachten. Aber irgendwie hat er mich auf dem linken Fuà erwischt.
»Sie arbeiten bei Pope Pharmaceuticals, nicht wahr? Ich meine, ich
weiÃ, dass Sie da arbeiten, weil ich Ihnen von dort gefolgt bin. Ich wollte
keinen dieser Wissenschaftler ansprechen, weil die nichts sagen oder nur Zeug
von sich geben, das kein normaler Mensch kapiert. Also musste ich jemanden
auswählen, der nicht so wichtig ist, dass er mich gleich abblitzen lässt. Leute
mit Jobs auf der unteren Ebene reden gern. Lassen Sie die mal im Fernsehen
auftreten. Die wollen alle ihre 15 Minuten Ruhm. Deshalb habe ich Sie
ausgesucht.«
Ich überhöre die
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