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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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gehen ins Licht, damit er einen Blick in die Plastiktüte werfen
kann, in die ich mehrere Scherben und eine Handvoll Staub gestopft habe. Einige
Knochen haben es ebenfalls in das Gemisch geschafft.
    Â»Nein, nein, nein«, murmelt er. »Alt, haben sie gesagt?«
    Â»Ja.« Ich unterstreiche die Bestätigung mit einem kleinen Nicken.
    Â»Nein.« Sein Seufzer quält sich durch Jahrhunderte von Schutt.
»Manchmal zerlegt der Verstand die Realität und setzt sie zu einem neuen Stoff
zusammen, der ihm besser zusagt. James und Raoul sind – waren – auf der Jagd
nach einer großen Entdeckung, die sie in ihrer Karriere voranbringen würde. Wir
Menschen heften zu gern unsere Namen an Dinge; das gibt uns ein Gefühl der
Unsterblichkeit.« Er lächelt entschuldigend. »Sie boten den beiden ein
faszinierendes Rätsel, und das verlieh Ihrem Gefäß Qualitäten, die es nicht
besitzt. James hat sich in Ihrem Tonkrug getäuscht. Ebenso wie Raoul.«
    Â»Was meinen Sie damit?«, frage ich nur.
    Â»Das Ding hier ist nicht alt. Meine Frau hat etwas ganz Ähnliches in
unserer Diele stehen. Die meisten Leute halten es für alt, weil sie meinen
Beruf kennen. Dann blinzelt sie mir immer zu und sagt, es sei etruskisch oder
griechisch.«
    Â»Und das glauben sie?«
    Â»Sie verschlingen ihre Worte, meine Liebe. Die Leute glauben, was
sie glauben möchten. Es passt nicht in ihr Weltbild, dass ein
Archäologie-Konservator sein Heim mit neuzeitlicher Keramik ausstattet. Die
Menschen sind komisch. Wir haben uns verändert und sind doch immer gleich
geblieben. Jedenfalls«, er blickt mich fast amüsiert an, »ist dieses Ding alles
andere als eine Antiquität.«
    Die Worte hallen dumpf in meinem Kopf wider. Das Gefäß ist nicht
alt. Und doch haben James und Raoul das geglaubt. Ich war dabei, ich sah sie.
Oder vielleicht war ich diejenige, die sah, was sie sehen wollte, und sie spielten
nur den komischen Knochen, den ich ihnen hinhielt. Oder vielleicht dachten sie,
ich wollte mit meinem neuen-alten Gefäß ihre Fantasie anregen, und machten das
Spiel mit. Sie haben die Antwort mit ins Grab genommen, ohne eine Erklärung zu
hinterlassen. Einen Moment lang ist mir zum Lachen zumute, denn ich würde sie
beide umbringen, wenn sie nicht schon tot wären.
    Â»Die Knochen«, fährt er fort, »gehören zu irgendwelchen Exemplaren
der Muridae .«
    Â»Sie kennen sich mit Knochen aus?«
    Â»Nein. Ich kenne mich mit Mäusen aus.«

ZWÖLF
    Die Maus mit den gebogenen Schnurrhaaren ist weg. In ihrem
Käfig sitzt jetzt eine Artgenossin mit geraden Schnurrhaaren.
    Â»Wow, die sehen echt klasse aus«, sage ich.
    Shultz hat sich bequem in seinem Stuhl zurückgelehnt und mampft Chips.
    Â»Ich bin froh, dass diesmal keine eingegangen sind.«
    Â»Yeah.« Shultz spuckt beim Sprechen Brösel. »Ich auch.«
    Â»Hey, Shultz, was passiert eigentlich mit all den toten Mäusen? Ich
meine, äschert ihr die ein oder was?«
    Â»Warum?«
    Â»Reine Neugier.« Ich stelle mich dumm. Tue so, als gäbe es nichts
Wichtigeres als meinen Wischmopp.
    Er knurrt vor sich hin. »Ja, die werden verbrannt. Bis vor Kurzem
hat Jorge das erledigt.«
    Â»Hoffentlich muss ich das jetzt nicht machen. Igitt.«
    Â»Keine Sorge, das erledigt der Alte höchstpersönlich. Traut einfach
keinem mehr.«
    Â»Na, da bin ich aber froh.« Der Wischmopp fährt gleichmäßig über den
Fußboden.

    Ich entdecke die Geschwister meines Tonkrugs auf dem untersten
Brett eines Regals zwischen gestapelten Tischplatten und einem Ablagegestell.
Geschwister trifft es nicht ganz. Sie sind Klone, geboren aus der gleichen
Form. Ihre ganze Vergangenheit besteht aus ein paar Säcken Tonstaub, einer
Keramikfabrik und einem Lieferwagen.
    Sollte sich jemand irgendwann die Mühe machen, ein neues Narrenschiff zu schreiben, so erscheine ich ganz sicher auf
den ersten Seiten.
    Auf dem Etikett der Packungen steht : Made in
Mexico. Ich lache bitter auf. Diese Möglichkeit hatte ich nicht in
Betracht gezogen.
    ZEIT: JETZT
    Der Kanal von Korinth ist wie ein hungrig aufgesperrtes
Maul in die Landschaft geschnitten.
    Â»Siehst du die Dämme?« Der Schweizer deutet auf die Wellenbrecher zu
beiden Seiten des Schlunds. Ihre erloschenen Leuchttürme weisen den Schiffen
längst nicht mehr den Weg. »Hurenschenkel, weit gespreizt, um jedem Einlass

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